Ebbe und Glut
und starrte schweigend auf den Boden. Was sollte er ihr antworten, ohne sie nicht noch mehr zu verletzen als ohnehin schon? Er wünschte, sie würde sich einfach umdrehen und gehen, während er das makellose Eichenparkett begutachtete. Doch als er den Kopf hob, ruhte ihr Blick immer noch auf ihm, und sie drehte nervös am Stil ihres Champagnerglases, das einzige Anzeichen für ihre innere Erregung.
»Ich möchte das Gleichgewicht zwischen uns nicht stören«, sagte er schließlich. »Wenn ich dich berühre, wirst du vermutlich mehr wollen – mehr Sex, mehr Nähe, was auch immer. Aber das kann ich dir nicht geben. Darum sollten, wir alles so lassen, wie es ist.«
Ihre Finger krampften sich so fest um den dünnen Stil des Glases, dass Arthur fürchtete, er könne brechen. Doch ihre Stimme klang fest, als sie fragte:
»Liegt es an mir?«
Er war schockiert. »Meine Güte, wie kommst du denn darauf? Mit dir hat das alles doch überhaupt nichts zu tun. Du bist eine wunderschöne, begehrenswerte Frau. Das hier würde doch sonst nicht schon so lange laufen, es würde gar nicht funktionieren.«
Er bekam Angst. Sie waren eindeutig zu weit gegangen. Er musste dringend damit aufhören, sonst würde er sie beide noch in Teufels Küche bringen.
Entnervt registrierte er, dass Mia immer noch nicht aufgab.
»Kommt dir nie in den Sinn, dass du nicht der Einzige bist, der hier Bedürfnisse hegt? Dass du nicht der Einzige bist, der Begehren empfindet?«
Es kostete ihn große Anstrengung, ruhig zu bleiben. »Ich bin doch nicht blind. Aber noch mal: Das hat absolut nichts mit dir zu tun. Du bist eine großartige Frau, und ich frage mich sowieso, was dich immer wieder zu mir altem Idioten herzieht, warum du nicht längst auf Nimmerwiedersehen verschwunden bist.«
»Möchtest du denn, dass ich gehe?«
»Nein! Wenn es nach mir ginge …« Er brach abrupt ab. Dann hatte er sich wieder gefasst, seine Augen verengten sich und er sagte kühl: »Das einzige, was ich dir geben kann, ist dieses lächerliche Geld. Es liegt bei dir, ob du es annimmst oder nicht. Und es liegt bei dir, ob du wiederkommst oder nicht.«
»Selbstverständlich komme ich wieder.«
Er atmete auf. Endlich gab sie Ruhe.
Nachdem sie sich im Flur mit ihrem üblichen Händedruck verabschiedet hatten, hob Mia plötzlich ihren Arm und strich Arthur zart mit dem Handrücken über die Wange. Er stand starr vor Schreck. Ihre Berührung brannte wie Feuer auf seiner Haut.
Wenige Wochen später hatte er sie fortgeschickt.
Er sah Mia vor sich, wie sie zum Abschied mit, wie ihm schien, großer Gleichgültigkeit und nur aus reiner Höflichkeit sagte:
»Melde dich. Ich komme gerne wieder.«
Sie wussten beide, dass er sich nicht melden würde. Und sie würde es auch nicht tun. Also war es aus.
Es wurde kühl auf der Terrasse. Arthur zog sich in sein Wohnzimmer zurück. Als er einen letzten Blick auf die Elbe warf, wusste er auf einmal, was ihn bei der Erinnerung an Mia irritierte: Er konnte sich haargenau an die Form ihres Mundes erinnern. Aber er brauchte ewig, um sich Carols Mund ins Gedächtnis zu rufen.
Carol.
Er begann, sie zu vergessen. Entsetzt umklammerte er sein Whiskyglas, wie ein Ertrinkender seinen Rettungsring.
10
Mia stapfte wütend von der Bushaltestelle nach Hause. Sie hatte es ja schon immer gewusst. Mit ihrer Chefin würde sie keine Freundschaft schließen. Heute war allerdings das Maß voll gewesen. Dagmar Roth hatte ihr einen Text fünfmal zurückgegeben und jedes Mal andere Formulierungen kritisiert.
»Frau Sommer«, sagte sie nach der fünften Korrektur mit einer Stimme, die Mias Text in der Luft zerschnitt, »so langsam sollten Sie doch den Dreh raus haben. Ich brauche eine anständige Pressemeldung, keinen Werbetext. Habe ich mich klar genug ausgedrückt? Oder muss ich Ihnen die Unterschiede noch mal in allen Einzelheiten erklären?«
»Das ist keine Werbung, jedenfalls nicht nach meinem Empfinden.«
»Ihr Empfinden zählt hier aber nicht, sondern ausschließlich meins. Klar?« Frau Roths Augen waren schmale Schlitze, ihre Lippen dünne Linien. Ihre Stimme klang so eisig, dass Mia glaubte, die Kälte körperlich zu spüren.
»Klar.« Resigniert nahm sie das Papier mit, um es ein weiteres Mal zu überarbeiten.
Sie hatte keine Ahnung, was sie noch korrigieren sollte. Der Text war in ihren Augen tadellos und Dagmar Roths Kritik reine Schikane. So sehr sie sich auch anstrengte, sie konnte es der Frau ihres Chefs nie recht machen.
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