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Ebbe und Glut

Ebbe und Glut

Titel: Ebbe und Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Burkhardt
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Wasserflasche in ihrer Handtasche und nahm einen kräftigen Schluck. Sie begriff nicht, woher Arthurs plötzliche Panik kam. Er war doch sonst immer so überlegen und hatte alles im Griff. Er ließ sich nie eine Schwäche anmerken, fand auf alles eine Antwort und verstand es perfekt, seine Gefühle zu kontrollieren. Selbst auf Mias durchaus heikle Fragen zu seiner Frau hatte er halbwegs ruhig reagiert und sich zu helfen gewusst.
    Mia stutzte.
    Arthurs Frau. Carol. Ja, natürlich, der Autounfall. Warum hatte sie das nicht sofort begriffen?
    Sie sprang aus dem Wagen und kletterte ebenfalls über die Leitplanke und die kleine Böschung hinab. Arthur stand vornübergebeugt vor einem Stacheldrahtzaun, der eine Rinderweide umgrenzte, und kotzte sein Mittagessen ins Gras, während ihn ein paar Kühe dabei beobachteten. Schweiß stand auf seiner Stirn, sein Gesicht hatte mittlerweile eine gelbliche Farbe angenommen, sein Blick war stumpf und leer. Er sank auf dem schmutzigen Gras an der Böschung zusammen und achtete weder auf Brombeerranken noch Brennnesseln. Mia setzte sich zu ihm, kramte aus ihrer Handtasche die bereits fast leere Wasserflasche, Taschentücher und Kaugummis.
    »Das Schnitzel scheint ja echt widerlich gewesen zu sein«, sagte sie und schlug einen munteren Ton an.
    Wortlos nahm Arthur die Flasche, spülte sich mit dem letzten Schluck Wasser den Mund aus und spuckte ihn zwischen die Brombeeren. Er wischte sich mit einem Papiertaschentuch das Gesicht sauber, und nachdem er eine Weile auf dem Kaugummi herumgekaut hatte, schien wieder ein wenig Farbe in sein Gesicht zu kommen. Mit gesenktem Kopf hockte er da und rührte sich nicht.
    Nur wenige Meter hinter ihnen brausten die Autos vorbei. Die Kühe beäugten sie immer noch neugierig. Auf der anderen Seite der Weide standen zwischen hohen Bäumen ein paar Hofgebäude. Eine Fliege umkreiste ihre Köpfe. Die Abendsonne schien ihnen mitten ins Gesicht.
    »Damals, bei dem Unfall, hast du mit im Auto gesessen, richtig?«, fragte Mia behutsam.
    Sie wusste nicht, warum sie nicht schon viel früher darauf gekommen war. Arthurs Unvermögen, über den Unfall zu sprechen, und die feine Narbe in seinem Gesicht sagten doch alles. Er hatte mal einen schweren Autounfall. Sogar Ulrich Hampel wusste darüber Bescheid.
    Arthur antwortete nicht. Nur eine leichte Bewegung seines Kopfes zeigte, dass er Mia überhaupt gehört hatte.
    »War es eine ähnliche Situation wie heute?«, fragte sie weiter. »Hat euch damals auch ein anderer Wagen geschnitten?«
    Die Fliege ließ sich surrend auf einem Stein nieder. Die Kühe gaben das Glotzen auf und widmeten sich wieder ihrer Wiese. Nur eine blieb weiter am Zaun stehen und starrte reglos herüber. Mia spürte einen spitzen Stein, der sich in ihr Gesäß bohrte und verlagerte ihre Sitzposition.
    Endlich hob Arthur den Kopf ein wenig und stützte ihn in seine Hände.
    »Der andere Wagen kam plötzlich von rechts angeschossen.« Seine Stimme klang wie losgelöst von ihm, mit einem ungläubigen Staunen darin, als könne er bis jetzt nicht begreifen, was geschehen war. »Der Fahrer wollte die Spur wechseln und hat uns übersehen. Er hat uns voll gerammt. Unser Auto flog durch die Luft und überschlug sich mehrmals. Carol wurde dabei aus dem Wagen geschleudert. Sie hatte keine Chance.«
    Mias Herz krampfte sich zusammen. Bisher war Carols Tod für sie weit weg und seltsam unwirklich gewesen. Doch nun wurde er auf entsetzliche Weise greifbar. Mia sah die blonde, fröhliche Frau vor sich, wie ihr Haar vom Nordseewind zerzaust wurde und sie lachend auf ihrem Pferd über den Strand galoppierte. Sie strahlte so viel Energie, so viel Glück aus. Und dann wurde ihrem Leben auf derart grausame Weise ein Ende gesetzt.
    »Der Fahrer des anderen Wagens hat es auch nicht überlebt«, fügte Arthur wie zu sich selbst hinzu.
    »Und du?«, fragte Mia leise.
    Arthur zuckte mit den Schultern. »Ich lebe noch. Schwer verletzt zwar, mit tausend Knochenbrüchen, aber ich bin noch da.«
    Impulsiv legte Mia ihm einen Arm um die Schultern. »Das tut mir so entsetzlich leid«, flüsterte sie.
    Arthur saß steif und reglos da. Mia war nicht sicher, ob er ihre Berührung überhaupt wahrnahm. Wie zu sich selbst sprach er weiter. »Eine kleine Unaufmerksamkeit nur, eine Sekunde lang. Eine winzige, beschissene Sekunde, und es wäre vielleicht nicht passiert.« Er hob den Kopf und sah mit diesen entsetzlich ausdruckslosen Augen durch Mia hindurch. »Ich weiß nicht, wie oft

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