_ebook - GER_ - Francesca Shaw - Allerliebste
Kuss. Auf Grund der Ähnlichkeit der beiden vermutete Antonia, dass sie Geschwister waren.
Die Dame sagte etwas zu ihm, und gleich darauf setzte er seine Nichte ab. Wieder stellte er sich vor die offene Kutschtür. Im Wagen war eine zierliche Frau zu sehen, die unschlüssig zu sein schien, ob sie ohne Hilfe aussteigen solle.
„Sie ist bestimmt nicht Lord Allingtons Schwester und wahrscheinlich nicht einmal eine Dame!“ bemerkte Maria spitz. Die Person war ihr auf den ersten Blick unsympathisch.
„Sie ist sehr hübsch“, erwiderte Antonia.
„Alles künstlich! Nur Aufmachung!“ entgegnete Maria. „Die Person hat ihrer Modistin und ihrer Friseuse sehr viel zu verdanken und zweifellos auch ihren Schminktöpfen.“
„Maria! Wir sind viel zu weit entfernt, als dass du das richtig beurteilen könntest! Wie boshaft du heute Vormittag bist!“
Schweigend beobachtete man, wie die Dame Lord Allington gestattete, ihr beim Aussteigen behilflich zu sein. Sie hielt eine Hand an die Stirn, setzte ein tapferes Lächeln auf und schwankte leicht beim Verlassen der Kutsche. „Pah! Jetzt zeigt sie ihm, was für schreckliche Kopfschmerzen sie hat und wie tapfer sie trotzdem ist!“ äußerte Maria abfällig.
Die Frau war von sehr kleinem Wuchs und reichte Seiner Lordschaft nur bis zur Schulter. „Zweifellos gehört sie zu seinen Gästen, aber falls ich mich nicht irre, ist er überrascht, sie zu sehen.“
„Findest du? Nun, meine Liebe, du kennst ihn besser.“ Maria mochte die Veränderung, die mit ihm vorgegangen war, nicht erkennen, doch Antonia, die sich ausgezeichnet an alle Einzelheiten seiner hochwüchsigen Gestalt erinnerte, merkte an seiner steifen Haltung, den gestrafften Schultern und der höflichen Miene, dass er anderer Stimmung geworden war.
Die kleine Gruppe kehrte zur Kutsche zurück. Die Postillione schwangen sich auf die Pferde, und der Lakai führte Lord Allingtons Pferd herbei. Im Nu hatten die beiden Reiter und die Kutsche den Hof verlassen, der Antonia plötzlich sehr leer vorkam.
Maria stand auf, beglich bei der herbeigerufenen Schankmagd die Rechnung und verließ mit der Freundin das Gasthaus. Die Einkäufe wurden fortgesetzt, und unversehens begegnete man in einem Laden Mr. Blake, der dort Krawattentücher kaufte.
Er bot den Damen seine Begleitung an, die gern akzeptiert wurde. Maria war deshalb einverstanden, weil sie sich nicht damit abfinden konnte, dass die Freundin nie einen Lakai bei sich hatte, der ihr die Einkäufe trug. Antonia stimmte zu, weil sie Mr. Blakes Gesellschaft als angenehm empfand.
Einige Zeit später kehrte man durch die High Street zum „King's Arms“ zurück.
„Ich wollte Sie morgen aufsuchen“, sagte Jeremy beim Überqueren der Straße, „doch da wir uns jetzt zufällig getroffen haben, wüsste ich gern, ob ich mein Anliegen nun zur Sprache bringen kann.“
„Bitte, Mr. Blake. Haben Sie schon etwas von Sir Josiah gehört?“
„Ja, Madam. Es wäre mir eine große Hilfe, wenn ich erfahren könnte, wann die Tapezierer in Rye End Hall anfangen können. Allerdings möchte ich Sie nicht inkommodieren.“
„Vielen Dank für Ihre Rücksichtnahme. Selbstverständlich werden wir Sir Josiah und seiner Gattin in jeder nur möglichen Weise behilflich sein.“ Antonia wandte sich Miss Donaldson zu. „Ich glaube, wir können Rye End Hall in einer Woche geräumt haben, nicht wahr, Maria?“
„Das Witwenhaus ist bereits gereinigt und gelüftet worden. Wir müssen nur noch unsere persönlichen Dinge hinüberschaffen. Das nimmt höchstens einen Tag in Anspruch.“
„Ich bin Ihnen sehr dankbar. Kann ich Ihnen beim Umzug behilflich sein?“ Die Damen versicherten Mr. Blake, sie hätten alles gut in der Hand. Man verabschiedete sich, und die Damen begaben sich zu Jem, der sie heimfuhr.
„Wir werden keine freie Minute haben!“ meinte Maria seufzend.
„Aber du freust dich auf den Umzug ins Witwenhaus, nicht wahr, Maria?“ fragte Antonia trocken.
„Ja, in der Tat. Wir haben einen Szenenwechsel vor uns, werden mit Sir Josiah und seiner Gattin nette Gesellschaft bekommen und auch noch an dem Abendessen in Brightshill teilnehmen. Zudem steht uns eine Menge lohnender Arbeit bevor. Es ist weit mit uns gekommen, seit wir Rye End Hall im März zum ersten Mal gesehen haben.“
„Ja“, stimmte Antonia zu und dachte daran, dass ihr Leben sich seit jener ersten einzigartigen Begegnung mit Lord Allington sehr verändert hatte.
KAPITEL 7
Lord Allington lehnte am Türrahmen
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