_ebook - GER_ - Francesca Shaw - Allerliebste
gesorgt, dass der Name der Danes in der Nachbarschaft wieder respektiert wurde. Es war ihr eine zusätzliche Freude, dass ihr zukünftiger Gemahl so in der Nähe wohnte, da sie die sanft geschwungenen Hügel der Gegend zu lieben und die guten Beziehungen zu ihren Pächtern zu schätzen gelernt hatte.
Plötzlich merkte sie, wie weit sie sich vom Haus fortgewagt hatte, und vermutete, dass sie sich bereits auf Marcus' Besitz befand. Wenn sie um die nächste Kurve kam, würde sie bestimmt die Dächer seines Landsitzes sehen. Der Zeitpunkt, zu dem Marcus abends zu ihr kommen wollte, schien ihr noch unendlich weit entfernt zu sein.
Als sie um die Flussbiegung gelangte, bemerkte sie einen Pavillon, der wie ein kleiner klassischer Tempel aussah. Nirgendwo schien etwas sich zu regen. Sie schaute einen Moment lang zum Gutshaus und vermochte kaum zu fassen, dass sie vielleicht noch vor Ende des Jahres dessen Herrin sein würde.
Sie setzte sich, weil sie sich eine Weile ausruhen wollte, im Pavillon auf eine schmiedeeiserne Bank. Die Hitze hatte zugenommen. Unversehens bemerkte sie, dass dunkle Wolken sich zusammenbrauten. Ein Unwetter schien zu nahen.
Antonia stand auf und wollte heimkehren, um nicht in den Regen zu geraten.
„Was machst du hier?“ Marcus stand hinter ihr.
Sie wirbelte herum, und vor Entzücken, seine Stimme gehört zu haben, klopfte das Herz ihr schneller. Sie konnte ihn jedoch nicht sehen, ging verdutzt die kurze Marmortreppe hinunter und umrundete den Pavillon.
Um eine kleine Lichtung, auf der wilde Blumen blühten, waren Bäume gepflanzt worden. Eine halb bekleidete Gottheit aus Marmor schaute leeren Blicks zum Fluss.
Einen Moment lang stand Antonia verblüfft da und war vom Anblick der Lichtung bezaubert. Dann sah sie Marcus. Zwischen zwei Bäumen, die Schatten spendeten, hing eine Hängematte, in der er lag. Er hatte die Jacke ausgezogen und das Hemd geöffnet. Neben ihm stand ein Krug auf der Erde.
Es war nicht Antonia, der seine Frage gegolten hatte. Sein Blick war auf jemanden gerichtet, der soeben aus dem Wäldchen kam.
Einen schrecklichen Moment lang glaubte Antonia, die Statue sei lebendig geworden und vom Podest heruntergestiegen. Dann erkannte sie Lady Reed. Das Haar Ihrer Ladyschaft war im griechischen Stil frisiert, und sie trug ein hauchdünnes weißes Musselinkleid. Es wurde nur von unter dem Busen schräg zueinander verlaufenden Bändern gehalten, und Antonia fand es unglaublich unzüchtig.
Lady Reed blieb mit dem Rücken zu ihr neben Marcus stehen. Die Sonne fiel auf sie, und man konnte deutlich ihre Beine unter dem Rock sehen, der offenbar feucht geworden war.
Sie unterhielt sich gedämpft mit Marcus. Antonia verharrte auf der Stelle, konnte jedoch nicht hören, was gesprochen wurde. Sie sah indes deutlich, wie Lady Reed die Hand ausstreckte, Marcus das Haar aus der Stirn strich, sich dann zu ihm neigte und ihm einen Kuss auf den Mund gab.
Gewiss würde er sie jetzt von sich stoßen. Bestürzt sah Antonia ihn jedoch die Arme um Lady Reed schließen und sie an sich ziehen. Die Hängematte schwankte heftig, und die dünnen Bäume, an denen sie befestigt war, krümmten sich nach innen. Lady Reed legte sich, wie immer sehr graziös, auf Marcus' Brust.
Sekunden später kippte die Hängematte um, und die beiden purzelten ins Gras, wo sie, ohne den Kuss zu unterbrechen, in einem Gewirr von Gliedmaßen liegen blieben.
Aufschluchzend wirbelte Antonia herum und rannte blindlings zum Ufer zurück. Sie stolperte über Wurzeln, und Ranken verfingen sich in ihrem Rock.
Sie weinte beim Laufen und setzte sich, sobald sie in der Nähe des Witwenhauses war, atemlos und keuchend ans Ufer.
So konnte sie nicht ins Haus gehen, es sei denn, sie war gewillt, Maria alles zu erzählen. Sie beugte sich vor, schöpfte kaltes Wasser und spritzte es sich auf das erhitzte Gesicht. Nach einer Weile hatte sie sich so beruhigt, dass sie heimkehren konnte.
„Meine Liebe!“ Beim Anblick ihres geröteten Gesichts und der geschwollenen Augen sprang Maria auf. „Komm und setz dich. Du hast einen zu langen Spaziergang unternommen und alle meine Bemühungen von vorhin zunichte gemacht. Ich hoffe, du wirst nicht krank.“
„Ich glaube, das liegt am Wetter.“ Antonia war erstaunt, wie sachlich ihr Ton gewesen war, obwohl sie das Gefühl hatte, ihr bräche das Herz. „Sieh! Die Wolken brauen sich zusammen. Bald wird es ein Unwetter geben.“ Trotz der Hitze hatte sie das Gefühl, etwas in ihr sei erfroren.
Weitere Kostenlose Bücher