Echo des Blutes: Thriller (German Edition)
»Marcellus Palmer wurde am 21. Juni ermordet, Lina Laskaris und Margaret van Tassel am 21. September, Antoinette Chan am 21. März, Marcia Jane Kimmelman am 21. Dezember.«
»An diesen Tagen beginnen die vier Jahreszeiten«, sagte Jessica. »Der Mörder hat diese Fälle aufgegriffen, weil die Taten jeweils am ersten Frühlings-, Sommer-, Herbst-und Wintertag verübt wurden.«
»Ja.«
»Das meinte Kevin, als er sagte, dass es ihm einfiel, als er am Hotel vorbeigefahren ist. Er meinte das Hotel Vier Jahreszeiten.«
Es folgten Kopien von den Fotos der Tiertattoos auf den Fingern der Opfer. Jessica legte die sechs Fotos nebeneinander. »Die sind alle aus Karneval der Tiere von Saint-Saëns.«
Sie betrachteten die Fotos. Sechs Tattoos, sechs Finger. Sechs verschiedene Finger.
Im ersten Umschlag steckte noch etwas. Jessica zog es heraus, und dann hatten sie ihre Antwort.
Es war ein kleines Programmheft mit einem Datum aus dem Jahr 1990. Jessica schaute auf das Cover.
CHRISTA-MARIE SCHÖNBURG, Cello
EIN ABEND MIT SAINT-SAËNS UND VIVALDI
AUSZÜGE AUS DEN VIER JAHRESZEITEN ,
KARNEVAL DER TIERE UND TOTENTANZ
FÜR DAS CELLO BEARBEITET VON
SIR OLIVER MALCOLM
Jessica schlug das Heft auf. Das Programm begann mit kurzen Auszügen aus allen Teilen der Vier Jahreszeiten . Anschließend folgten Auszüge aus Karneval der Tiere .
Der königliche Marsch des Löwen war der Löwe und Hühner und Hähne der Hahn. Vier Sätze der musikalischen Suite hießen Schildkröten , Der Elefant , Kängurus und Der Schwan . Das Aquarium war der Fisch und das Vogelhaus der Vogel.
Insgesamt waren es acht Auszüge.
»Jemand will ihre letzte Aufführung neu erschaffen.«
Bontrager zeigte auf das letzte Stück des Abendprogramms. »Totentanz?« , fragte er. »Was weißt du darüber?«
»Nichts.«
Bontrager setzte sich an den Computer und öffnete einen Webbrowser. Sekunden später hatte er einen Treffer.
Bei Wikipedia fanden sie erste Informationen. Camille Saint-Saëns hatte den Totentanz ursprünglich als Kunstlied für Stimme und Klavier geschrieben. Was hatte Duchesne gesagt?
»Oftmals wurde etwas ergänzend zu der Musik geschrieben – ein poetisches Motto, wenn Sie so wollen.«
»Schau mal nach, ob es eine Erzählung dazu gibt«, sagte Jessica.
Bontrager startete die Suche und wurde schnell fündig. »Ja, gibt es. Es war ursprünglich ein Gedicht eines gewissen Henri Cazalis.« Bontrager drückte ein paar Tasten, und kurz darauf erschien das Gedicht auf dem Monitor.
Die erste Strophe lautete:
Klipp-klapp, der rhythmische Tod
schlägt mit der Ferse auf ein Grab.
Um Mitternacht spielt der Tod eine Tanzmelodie
klipp-klapp, klipp-klapp, auf seiner Violine.
Allmählich ergab alles einen Sinn. Mit der Ferse auf ein Grab schlagen erklärte die Leichen, die sie auf dem Friedhof gefunden hatten, und ihre gebrochenen Beine. Klipp-klapp hatte auf Joseph Novaks Computer gestanden. Als Jessicas Blick über das Gedicht wanderte, erkannte sie weitere Übereinstimmungen.
Klipp-klapp, der Tod kratzt unaufhörlich
über die Saiten seines Instruments.
Ein Schleier ist gefallen! Der Tänzer ist nackt .
Der Tänzer ist nackt , dachte Jessica. Die rasierten Leichen.
»Gibt es eine Interpretation dazu?«, fragte Jessica. »Quellenmaterial?«
Bontrager scrollte nach unten. »Da steht, dass das Gedicht auf einem alten französischen Aberglauben beruht. Moment mal.« Er startete eine neue Suche und fand bald eine Erläuterung.
»Dem Aberglauben zufolge kommt der Tod jedes Jahr an Halloween um Mitternacht. Er hat die Macht, die Toten aus ihren Gräbern herbeizurufen, damit sie für ihn tanzen, während er auf der Geige spielt. Die Skelette tanzen für ihn, bis die Dämmerung anbricht. Dann müssen sie zurück in ihre Gräber bis zum nächsten Jahr.«
Die beiden Detectives wechselten einen Blick und schauten dann auf die Uhr. 21.50 Uhr.
Den Informationen zufolge, die sie gerade gefunden hatten, blieben ihnen noch zwei Stunden und zehn Minuten. Und sie hatten nicht die geringste Ahnung, wo der Mörder zuschlagen würde und auf wen er es abgesehen hatte.
Jessica öffnete den zweiten Umschlag, in dem sechs Overheadfolien in DIN-A4-Größe steckten. Zuerst konnte sie nichts darauf erkennen. Jessicas Blick wanderte zur unteren rechten Ecke einer Folie. Dort sah sie eine Zahl – das Aktenzeichen eines Mordfalls. Offenbar war es eine Folie des Fotos, das von dem weißen Papierstreifen gemacht worden war, mit dem der Mörder Kenneth Beckmans Kopf
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