Echo des Blutes: Thriller (German Edition)
und schlug zu, aber nicht mit voller Wucht. Sie traf Bontrager rechts vom Kinn. Bontrager geriet ins Taumeln und wäre beinahe gestürzt.
»Mann!«
Jessica hatte ihm die Unterlippe blutig geschlagen.
»Mein Gott. Bist du okay?«
Bontrager zögerte. »Ja, alles in Ordnung. Jetzt kann ich zwar nie mehr in der Oper singen, aber sonst ist alles in Ordnung.« Er griff mit der Hand in die Erde am Straßenrand und rieb sein Jackett damit ein.
Jessicas Blick wanderte vom Transporter zu Josh und dann die Sawmill Road hinunter. Den Angaben auf der Karte zufolge war sie etwa eine Meile von ihrem Ziel entfernt.
Sie hätte Josh gerne gebeten, sie anzurufen oder ihr eine SMS zu schicken, um sie auf dem Laufenden zu halten, doch sie sah ein, dass das keine so gute Idee war. Dann würde die ganze Geschichte auf jeden Fall auffliegen.
»Ist wirklich alles in Ordnung?«
Bontrager rieb sich die Wange, die bereits anschwoll. »Jetzt hau schon ab.«
Jessica überprüfte ihre Glock, steckte sie ins Holster und lief die Straße hinunter.
91.
Der Geruch von frisch umgegrabener Erde steigt mir in die Nase. Jede Schaufel Erde wird von einer klagenden Stimme begleitet: ein Beteuern der Unschuld, ein Schrei reuelosen Stolzes, ein wehleidiges Jammern. Ich höre sie alle.
Mit einem Schlag seines rot gefärbten Hammers beförderte Kenneth Beckman Antoinette Chan auf die andere Seite. Seine Frau Sharon half ihm dabei. Auch sie riechen jetzt die Erde, die mit Haaren, Blut und Knochen vermischt ist. Preston Braswell, Tyvander Alice, Eduardo Robles, Tommy Archer, Dennis Stansfield und viele andere gesellen sich zu ihnen. Die Erde verlangt sie stets zurück.
Heute Nacht werden an diesem Ort weiße Skelette durch die Dunkelheit schreiten. Sie sind rings um mich herum.
Eine Note muss noch gespielt werden. Ich höre den Spieler kommen. Er schleicht durch die Nacht. Ich verdränge die Geräusche der vorherigen Morde aus meinem Kopf und lausche auf die Schritte, die sich nähern.
Da. Hören Sie es?
Ich höre es.
Noch eine Note.
Meine Instrumente liegen bereit.
92.
Jessica lief die Straße entlang. Es war so dunkel, dass sie nicht einmal ihre eigenen Füße sehen konnte. Da es noch immer nieselte, kam sie noch langsamer voran. Die einzige Orientierung bot der weiße Streifen auf beiden Seiten der Straße und der integrierte Kompass auf ihrem iPhone. Sie schaltete ihn aber nur ungern ein, weil sie das Gefühl hatte, das beleuchtete Display würde sie wie ein Scheinwerfer anstrahlen. Dem Navi zufolge müsste sie den Friedhof in wenigen Minuten erreichen.
Jessica kam immer wieder an Einfahrten vorbei, Schotterwegen, die sich durch den Wald zu den Anwesen schlängelten.
Schließlich erreichte sie den Hintereingang des Briarcliff Cemetery, wo sie nirgendwo einen Hinweis auf den Friedhof entdeckte. Stattdessen standen dort zwei Pfeiler aus Naturstein, zwischen denen eine Kette mit einem Vorhängeschloss gespannt war. An einem der Pfeiler hing ein verrostetes Schild, auf dem stand: UNBEFUGTES BETRETEN VERBOTEN! Jessica schaltete die Taschenlampe ein, richtete sie auf den Boden und betrat den Friedhof.
Die Bäume schützten sie ein wenig vor dem Regen. Bald erreichte sie das südliche Ende des Friedhofs. Sie konnte nicht weit sehen, aber in der Ferne brachen ein paar Lichter durch die Dunkelheit. Jessica schätzte, dass dort drei große Häuser standen, vielleicht drei-oder vierhundert Meter voneinander entfernt. Als sie dem Hauptweg folgte, kam sie an Gruften und Grabmalen und zahlreichen Reihen mit gepflegten Grabstellen und teuren Grabsteinen vorbei. Dieser Friedhof unterschied sich gewaltig vom Mount Olive.
Um halb zwölf erreichte Jessica das andere Ende des Friedhofs, den Bereich, der an die Rückseite des Hauses von Christa-Marie Schönburg grenzte.
Jessica wollte den Friedhof gerade verlassen, da fiel das Licht ihrer Maglite auf einen Grabstein mit der Inschrift:
DR. GABRIEL THORNE
HEILER UND FREUND
Das Grab war vor kurzem umgegraben worden.
Als Jessica sich dem Haus näherte, staunte sie über die ungeheure Größe. Es war ein zweistöckiges Fachwerkhaus im Tudorstil mit einem steilen Kreuzgiebeldach. Auf beiden Seiten ragten zwei gemauerte Schornsteine mit Aufsätzen in die Höhe. Auf der Hofseite schloss sich an das Haus eine breite Veranda an.
Jessica hörte nur das Prasseln des Regens.
Sie betrachtete die Rückseite des Hauses. In drei Fenstern schien mattes Licht. Ihr Blick glitt auf der Suche nach Bewegungen oder Schatten
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