Echo des Blutes: Thriller (German Edition)
musst?«
»Ich will es aber.«
Byrnes Blick wanderte zu Laurent und wieder zurück zu Colleen. »Darf ich dich etwas fragen?«, gebärdete Byrne. Er hatte die Gebärdensprache erlernt, als Colleen sieben Jahre alt war. Wenn man bedachte, was für ein schlechter Schüler er gewesen war, fiel es ihm erstaunlich leicht. Als Colleen älter wurde und ein Großteil ihrer Kommunikation nonverbal – über Körpersprache, Gestik und Mimik – ablief, hörte er mit dem Unterricht auf. Er konnte sich noch immer recht gut verständigen, doch wenn zwei oder mehr Gehörlose angeregt miteinander kommunizierten, war er verloren.
»Klar«, sagte Colleen. »Und?«
»Bist du in den Jungen verliebt?«
Colleen warf ihm diesen Blick zu. Den Blick ihrer Mutter. Diesen Blick, der sagte: Du stehst vor einer Mauer, und wenn du glaubst oder hoffst, du könntest sie überwinden, brauchst du eine Leiter, ein Seil und Abseilhaken.
Sie strich ihm über die Wange, und der Kampf war vorbei. »Ich liebe dich «, sagte sie.
Wie machte sie das? Genauso hatte ihre Mutter ihn vor zwei Jahrzehnten beschwichtigt. Byrne war im Laufe seiner Dienstjahre von zwei Kugeln getroffen worden. Die Erschütterung dieser beiden Ereignisse verblasste im Vergleich zu einem einzigen Blick seiner Exfrau oder Tochter.
»Warum stellst du mir nicht einfach die Frage, die dir auf der Zunge brennt?«, fragte sie.
Byrne bemühte sich um einen verwirrten Blick. »Ich weiß nicht, was du meinst.«
Colleen verdrehte die Augen. »Ich beantworte die Frage dennoch. Die Frage, die du mir nicht stellen willst.«
Byrne zuckte mit den Schultern. Wie du meinst.
»Nein, wir schlafen nicht im selben Raum, Dad. Okay? Laurents Tante hat ein großes Haus in Stanton Park mit tausend Schlafzimmern. Dort schlafe ich. Schlösser an der Tür, Wachhunde vor dem Bett, Ehre und Tugend bleiben unversehrt.«
Byrne lächelte.
Plötzlich war die Welt wieder in Ordnung.
Byrne trank im Starbuck’s in der Walnut Street einen Kaffee. Als er bezahlte, vibrierte das Handy in seiner Tasche. Er nahm es heraus und schaute aufs Display. Es war eine SMS von Michael Drummond, dem Stellvertretenden Bezirksstaatsanwalt, der die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft im Robles-Fall leitete.
Wo sind Sie?
Byrne schrieb Drummond, wo er sich aufhielt. Ein paar Sekunden später erhielt er eine Antwort.
Wir treffen uns am Marathon.
Zehn Minuten später stand Byrne vor dem Restaurant Ecke Achtzehnte und Walnut. Kurz darauf näherte sich Drummond, der gerade telefonierte. Michael Drummond war Mitte dreißig – gepflegt, sportlich und gut gekleidet. Er sah wie der typische Strafverteidiger aus, und doch arbeitete er seit fast zehn Jahren im Büro des Staatsanwalts. Das würde sich bald ändern. Nachdem er seit Jahren von jeder angesehenen Anwaltskanzlei in der Stadt umworben wurde, wechselte er nun tatsächlich den Job. Im Finnigan’s Wake sollte in ein paar Tagen eine Abschiedsparty für ihn stattfinden. An dem Abend würde Drummond auch verraten, für welche noble Kanzlei er sich entschieden hatte.
»Herr Staatsanwalt«, sagte Byrne und reichte ihm die Hand.
»Guten Morgen, Detective.«
»Wie ist die Lage?«
Drummond lächelte. »Erinnern Sie sich an die Tigerszene im Gladiator? «
»Klar.«
»Ungefähr so.«
»Ich bin nur ein Bulle«, sagte Byrne. »Das müssen Sie mir erklären.«
Drummond warf einen Blick über Byrnes Schulter und drehte sich dann kurz um. »Eddie Robles wird vermisst.«
Byrne starrte Drummond an, ohne eine Miene zu verziehen. »Wissen Sie das genau?«
»Hundertprozentig«, erwiderte Drummond. »Ich habe heute Morgen bei Robles’ Mutter angerufen, und sie hat gesagt, dass er gestern Nacht nicht nach Hause gekommen ist. Sein Bett war unberührt.«
»Der Typ hat zwei Leichen auf dem Gewissen und lebt bei seiner Mutter?«
»Das hat ein bisschen was von Norman Bates, jetzt wo Sie es sagen.«
»Wir brauchen ihn nicht unbedingt, um ihn anzuklagen, nicht wahr?« Das war eine rhetorische Frage. Alle kannten die Redensart, dass der Staatsanwalt auch ein Schinkensandwich anklagen konnte, ohne dass das Sandwich anwesend sein musste.
»Nein«, sagte Drummond. »Aber vor der Grand Jury wird heute noch ein anderer Fall verhandelt. Der Dreifachmord im Fontana.«
Das Fontana war ein kürzlich eröffneter Komplex mit Luxuseigentumswohnungen in Northern Liberties. Die Umbauarbeiten hatten über vier Jahre gedauert und hundert Millionen Dollar verschlungen. Drei Menschen waren in einer der
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