Echo des Blutes: Thriller (German Edition)
Schlafstörungen immer schlimmer. Mittlerweile waren sie fast schon ein fester Bestandteil seines Lebens, und er konnte sich gar nicht mehr vorstellen, dass es auch anders sein könnte. Nichtsdestotrotz hatte er einen Termin – auf Anordnung seines Arztes und gegen seinen Willen – bei einem Neurologen im Schlaflabor der University of Pennsylvania.
Byrne stellte sich unter die heiße Dusche und spülte die vergangene Nacht von der Haut. Er trocknete sich ab, zog sich an und nahm ein sauberes Hemd aus der Tüte der Reinigung. Dann zog er einen neuen Anzug an, band seine Lieblingskrawatte um und setzte sich an den Tisch in der kleinen Essecke. Während er Kaffee trank, schaute er auf den Fragebogen des Schlaflabors. Einhundertsechzig bohrende Fragen.
Frage 87: Schnarchen Sie?
Wie sollte er diese Frage beantworten, wenn er die Nächte alleine verbrachte?
Plötzlich erinnerte Byrne sich an sein Experiment. Als er gestern Nacht gegen zwei Uhr immer noch nicht eingeschlafen war, hatte er das kleine Aufnahmegerät von Sony hervorgekramt.
Er ging wieder ins Bett, nahm zwei Schlaftabletten, schaltete den Rekorder ein, das Licht aus und schloss die Augen. Vier Stunden später wachte er auf.
Jetzt hatte er die Ergebnisse seines Experiments vorliegen. Byrne goss sich Kaffee nach und spielte die Aufnahme von vorn ab. Zuerst hörte er ein Rauschen, als die automatische Aufnahmeregelung das Gerät auf dem Nachttisch aussteuerte. Unmittelbar danach hörte er, dass er die Lampe ausschaltete, das Gerät wieder rauschte und er gegen den Tisch stieß. Das Geräusch war so laut, dass er zusammenzuckte. Byrne stellte die Lautstärke leiser. In den nächsten circa fünf Minuten hörte er nichts, außer ein leises Rauschen und ab und zu ein Auto, das an seiner Wohnung vorbeifuhr.
Byrne lauschte eine Weile seiner gleichmäßigen Atmung, die immer langsamer zu werden schien. Dann hörte er das erste Schnarchen. Es klang wie eine Fehlzündung. Oder auch wie ein wütender Rottweiler.
Großartig, dachte er. Er schnarchte also tatsächlich. Nicht immer, aber fünfzehn Minuten später schnarchte er wieder ein paar Minuten lang laut, dann gar nicht und dann wieder laut. Er starrte auf den Rekorder und dachte:
Was zum Teufel tue ich hier?
Die Antwort? Kaum richtig wach, saß er in seinem kleinen Esszimmer und lauschte der Aufnahme seines Schlafes. War das nicht echt bescheuert?
Mann, es musste sich etwas ändern.
Byrne drückte auf den Schnellvorlauf, und immer wenn er ein Geräusch hörte, drückte er auf Stop, spulte kurz zurück und spielte die Stelle ab.
Er wollte das Experiment gerade beenden, als er etwas anderes hörte. Er drückte auf Stop und dann auf Play.
»Du weißt es« , sagte seine Stimme vom Rekorder.
Wie bitte?
Er spulte wieder zurück.
»Du weißt es.«
Byrne ließ das Band weiterlaufen. Kurz darauf hörte er ein anderes Geräusch, das Klicken, als die Lampe eingeschaltet wurde, und seine Stimme, die klar und deutlich sagte:
»2.52 Uhr.«
Dann hörte er wieder das Klicken, als die Lampe ausgeschaltet wurde, ein Rauschen und anschließend Stille bis zum Ende der Aufnahme. Byrne erinnerte sich nicht daran, aber er musste aufgewacht sein und das Licht eingeschaltet haben. Offenbar hatte er auf die Uhr gesehen, laut die Zeit gesagt und war wieder eingeschlafen.
Allerdings stand keine Uhr in seinem Schlafzimmer. Seine Armbanduhr und das Handy lagen immer auf der Anrichte in der Küche.
Woher wusste er, wie spät es gewesen war?
Byrne spulte alles noch einmal zurück, um sicherzugehen, dass er sich das alles nicht nur einbildete. Nein, das war nicht der Fall.
2.52 Uhr.
Du weißt es.
Während Byrne im Park wartete, dachte er an einen anderen Tag in diesem Park, als seine Welt noch in Ordnung gewesen war. Seine Tochter Colleen war damals vier Jahre alt und versuchte verzweifelt, einen Drachen steigen zu lassen. Sie lief mit ihren blonden in der Luft wehenden Haaren kreuz und quer über die Wiese, streckte die Arme in die Höhe und verfing sich immer wieder in der Leine. Wütend stampfte sie mit den Füßen auf den Boden, ballte die Faust, wickelte die Drachenleine von ihrem Körper und versuchte es immer wieder. Aber sie bat ihn nicht um Hilfe. Kein einziges Mal.
Byrne kam es fast so vor, als wäre das erst ein paar Wochen her. Das war ein Irrtum. Es lag schon recht lange zurück. Colleen litt an Mondini-Dysplasie, einer Fehlbildung des Innenohres, und war von Geburt an gehörlos. In Kürze begann sie ihr
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