Echo des Blutes: Thriller (German Edition)
stimmte. Lucy hatte sogar an einem Pilotprojekt zur Regressionstherapie im Klinikum der University of Pennsylvania teilgenommen. Ihr fehlte das Geld für diese Therapie, doch nach drei Einzelgesprächen wurde ihr die Teilnahme bewilligt. Es lief nicht gut. Fünf Tage lang saß sie in einer aus acht Personen bestehenden Gruppe, die darüber sprachen, wie sie im früheren Leben von Attila, dem Hunnen, vergewaltigt worden waren oder mit Marie Antoinette gefüßelt oder den abgeschlagenen Kopf von Johannes dem Täufer geküsst hatten. Sie verstanden ihr Problem nicht richtig. Lucy hoffte, dass sie doch einmal jemanden fand, der es verstand.
Sie lernte dort aber ein paar nette Leute kennen. Den Mann, der gestorben und wieder ins Leben zurückgeholt worden war. Die Frau, die nach einem Schlag auf den Kopf drei Monate durch die Stadt irrte und nicht mehr wusste, wer sie war.
Lucy hatte auch einen Verhaltenstherapeuten aufgesucht – genau zehn Mal. Die Krankenversicherung ihres Arbeitgebers gestattete ihr, in einem Kalenderjahr zehn Mal zu einem Psychologen zu gehen. Sie musste den Eigenanteil von fünfundzwanzig Dollar bezahlen. Das Geld konnte sie so eben aufbringen.
Wenn sie Glück hatte, würde sich das alles heute ändern. Heute traf sie sich mit dem Traumweber.
Als Lucy eines Tages auf ihrem Putzwagen saß, fand sie seine Visitenkarte, die vermutlich ein Gast weggeworfen hatte. Aus irgendeinem Grund steckte sie die Karte in die Tasche und behielt sie. Vor einer Woche kam sie plötzlich auf die Idee, diese Nummer anrufen. Lucy führte ein kurzes Gespräch mit dem Mann, der ihr erklärte, was er genau machte.
Er sagte, er würde den Menschen helfen, ihre Träume zu erforschen, und behauptete, er könne sie von ihren Albträumen befreien. Heute Mittag hatte sie eine Verabredung mit ihm.
Lucy strich die Bettdecke glatt und warf einen prüfenden Blick ins Zimmer. Perfekt. Das Zimmer war fertig, sie jedoch nicht.
Sie ging zum Schrank, trat hinein, schloss die Tür und setzte sich hin. Dann nahm Lucy die Binde aus der Tasche, legte sie sich auf die Augen und knotete sie am Hinterkopf zusammen.
Leise brach die Dunkelheit über sie herein, und sie war froh darüber.
Das war seit neun Jahren so, seitdem die Erde unter Lucys Füßen gebebt und der Teufel ihre Hand genommen hatte. Drei Tage ihres Lebens waren ihr geraubt worden.
Während Lucy Doucette in dem Schrank saß und die Geister der Vergangenheit um sie herumwirbelten, betrat zwölf Stockwerke tiefer ein Mann die Hotelhalle.
Wie es bei vielen anderen auch der Fall war, die jetzt auf dem Weg zum Le Jardin waren, galt sein Interesse den krankhaften, dunklen Seiten der menschlichen Natur, den düsteren, Furcht erregenden Bereichen des psychopathischen Geistes. Besonders interessierte er sich für die Entführung und Ermordung junger Mädchen, für die Denkweise der Pädophilen.
Er hatte Zimmer 1208 gebucht. Dieses Zimmer hatte eine Geschichte, eine düstere Vergangenheit, die der Mann gut kannte.
Zimmer 1208 lag, wo sonst, im zwölften Stock. Lucinda Doucettes Etage.
16.
Kurz nach zehn bekamen Jessica und Byrne einen Anruf aus der Rechtsmedizin. Die Obduktion von Kenneth Beckman war für neun Uhr an diesem Morgen angesetzt, aber Tom Weyrich sagte, er wolle den Detectives etwas zeigen, ehe er mit der Autopsie begann.
Auf dem Weg zur Rechtsmedizin rief Jessica im Kinderheim an. Sie erfuhr, dass Carlos die ganze Nacht durchgeschlafen hatte und jetzt spielte. Wie benommen legte sie auf. Jessica hatte das Gefühl, dass Carlos in die Mühlen der Bürokratie geriete, wenn sie jetzt nichts unternahm. Eigentlich hatte sie mit Vincent über eine Adoption sprechen wollen, aber durch den bevorstehenden Umzug und den damit verbundenen Stress ergab sich keine Gelegenheit.
Vielleicht würde sie das Thema heute Abend anschneiden. Vielleicht würde sie Vincent heute Nacht mit heißem Sex milde stimmen.
Die Rechtsmedizin des Philadelphia Police Departments befand sich an der University Avenue. Unter anderem fiel es in ihre Zuständigkeit, die Ursache bei allen plötzlichen und gewaltsamen Todesfällen in Philadelphia County zu untersuchen und die Todesursache zu bestimmen, und das vor allem bei Mord, Selbstmord, Unfällen und Drogentoten.
In den vergangenen Jahren hatte die Rechtsmedizin es durchschnittlich mit sechstausend Todesfällen jährlich zu tun, von denen etwa fünfzig Prozent eine Obduktion erforderten. Daneben mussten die Rechtsmediziner Identifizierungen
Weitere Kostenlose Bücher