Echo des Blutes: Thriller (German Edition)
Leichnam auf die Erde. Es ist die dritte Note. Es sind acht in diesem Takt. Harmonie und Melodie. Ich lege das Bein auf den niedrigen Grabstein. Die Musik wird lauter, als ich in die Luft springe und mit meinem ganzen Gewicht auf der Leiche lande. Der Knochen bricht. Das Geräusch hallt über den nassen Granitstein und das mondbeschienene Gras. Ich nehme den Rekorder in die Hand und spule die Stelle zurück. Das Brechen des Knochens klingt wie der helle Ton eines Schlagzeugs.
Ich schreite zwischen den Toten umher und lausche. Die Verstorbenen sprechen leise mit mir, Etüden der Anmut und Demut. Bald sind meine Bewegungen fließend, eine Erhöhung dieses Augenblicks, ein Totentanz. La danse macabre. Ich drehe mich immer wieder im Kreis. Hier bin ich frei.
Um Mitternacht spielt der Tod eine Tanzmelodie, Klipp-klapp, klipp-klapp, auf seiner Violine.
Ich drehe mich zwischen den Verstorbenen, denke an die kommenden Tage vor Allerheiligen, dem Halloweenfest, an dem die Verstorbenen der ganzen Welt jubeln werden.
Bald werden wir tanzen, die Polizistin und ich. Wir werden tanzen und in unserer Umarmung spüren, dass wir beide gleich fühlen und denken, zwei verletzte Seelen, die beide von dem Blut in dem angelaufenen Becher nippen.
Z WEITER T EIL
S CHERZO
15.
D IENSTAG , 26. O KTOBER
Lucinda Doucette schaute auf den Badezimmerboden und dachte: Ich lebe in einer Welt voller Schweine.
Das Le Jardin, ein modernes Hotel mit dreihundert Zimmern in der Nähe Siebzehnter und Sansom im Herzen der Innenstadt, war ein gigantisches graues Gebäude mit eckigen schwarzen Geländern aus Schmiedeeisen vor den siebzig Balkonen. Das Hotel galt als Beispiel moderner europäischer Architektur an der Ecke des Stadtteils, der nun als Philadelphias neues Französisches Viertel angesehen wurde. Es wurde von einem internationalen belgischen Unternehmen geleitet, das auch Immobilien in Paris, Monaco und London verwaltete. Das Le Jardin war 2005 komplett renoviert worden. Mit den auf Hochglanz polierten Wandverkleidungen aus Mahagoni, den Mattglas-Türen und den luxuriösen Annehmlichkeiten der französischen Lebensart zog es vor allem Manager großer Firmen und vermögende Touristen an.
Neben den Hotelzimmern gab es auch sechs Suiten auf der vorletzten Etage, alle mit Blick auf die Stadt, und eine Präsidentensuite im obersten Stockwerk mit einer atemberaubenden Aussicht auf den Delaware River und weit darüber hinaus.
Für Lucinda Doucette war, wie für das gesamte Hauspersonal, das, was sie zu sehen bekam, nicht so malerisch, aber manchmal in gewisser Hinsicht ebenfalls atemberaubend.
Wie für alle Hotels war auch für das Le Jardin die Anzahl seiner Sterne – bei Orbitz, Hotels.com , Expedia, Hotwire, Priceline – von allergrößter Bedeutung.
Die Hotelleitung schaute sich zwar auf den Internetseiten gerne die Kommentare und Kritiken an, aber es gab nur zwei Rankings, die wirklich wichtig waren: Mobil und AAA.
Mobil testete die Hotels alle paar Jahre. Der amerikanische Automobilklub allerdings war viel strenger – einige würden sogar sagen, knauserig – mit der Vergabe seiner Sterne. Daher war der AAA von allen Organisationen, von deren Einschätzung der Unterkunft, Gastronomie und Lage der Erfolg aller Hotels abhing, am meisten gefürchtet und respektiert. Wenn man den amerikanischen Automobilklub enttäuschte, spürte man innerhalb weniger Monate einen Rückgang an Gästen.
Bei der Bewertung ganz oben rangierten der Komfort, das Personal, der Service und die Sauberkeit.
Das Le Jardin wurde zu Recht als ein Hotel der gehobenen Klasse angesehen und bekam immer vier Sterne verliehen. Es verstand sich von selbst, dass die Hotelleitung darauf bedacht war, diese auch zu behalten.
Lucy Doucette arbeitete schon seit über einem Jahr als Zimmermädchen im Le Jardin. Sie hatte kurz nach ihrem achtzehnten Geburtstag dort angefangen. Anfangs loggte sie sich ständig in die verschiedenen Reiseportale ein und las die Gästebewertungen und die Kommentare, vor allem was die Sauberkeit betraf. Natürlich hätte sie von der Hausdame schon etwas gehört, wenn sie ihren Job nicht anständig machte. Sie war eine kühle, rationale Frau namens Audrey Balcombe, die – wie es hieß – an der Université d’Avignon ihren Master in Kommunikationswissenschaft gemacht hatte. Zur Hotelfachfrau soll sie bei Kurt Wachtveitl, dem legendären ehemaligen Direktor des Mandarin Oriental in Bangkok, ausgebildet worden sein.
Lucy war stolz auf ihre Arbeit
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