Echo des Blutes: Thriller (German Edition)
hatte, musste das dort verzeichnet sein.
»Sobald das Amt aufmacht, Detective«, sagte Jessica.
38.
D ONNERSTAG , 28. O KTOBER
Der letzte offizielle Armenfriedhof war 1956 im Nordosten Philadelphias eröffnet worden. Davor wurden die meisten Mittellosen auf einem Grundstück Ecke Luzerne Street und Whitaker Avenue beerdigt, das heute als Polizeiparkplatz genutzt wurde und direkt neben dem Philadelphia Municipal Hospital lag. Auch Tausende, die 1918 während der Grippeepidemie gestorben waren, hatten hier ihre letzte Ruhestätte gefunden. In der Stadt waren Arme oder Verstorbene ohne Angehörige seit jeher an verschiedensten Orten beerdigt. Dazu gehörten auch der Logan Square, das Franklin Field, der Reyburn Park und sogar ein Platz an der Ecke Fünfzehnte und Catharine, der nur ein paar Blocks von dem Haus entfernt lag, in dem Jessica aufgewachsen war.
Weil es einfacher und kostengünstiger war, wurden heutzutage viele unidentifizierte Tote sowie mittellos Gestorbene verbrannt. Ihre Asche wurde in einem Nebenraum der Leichenhalle in der Rechtsmedizin aufbewahrt.
Kurz nach acht suchten Jessica und Byrne das Archiv des Katasteramts auf, das im Gebäude der Stadtverwaltung Ecke Fünfzehnte und John F. Kennedy Boulevard untergebracht war. Sie erfuhren, dass es in Parkwood im Nordosten Philadelphias einst einen Armenfriedhof gegeben hatte, dieser aber inzwischen aufgelassen worden war.
Unterwegs tranken sie einen Kaffee und fuhren dann kurz nach neun auf die I-95.
Der ehemalige Armenfriedhof lag in der Nähe der Kreuzung Mechanicsville Road und Dunks Ferry Road am Südende des Poquessing Valley Park.
Auf der Südseite der Dunks Ferry Road standen einstöckige Reihenhäuser, die zu Halloween geschmückt waren. Es waren außergewöhnliche Dekorationen dabei (an einem Dachsims hing ein Skelett, das sich anschickte, in den Schornstein zu klettern), aber auch ganz unauffällige (ein schon verbeulter Plastikkürbis steckte auf einer Laterne neben der Haustür).
Jessica und Byrne stiegen aus dem Wagen und überquerten die Straße. Sie liefen zwischen den Bäumen hindurch auf das große, unbebaute Grundstück zu. Der unebene Boden erinnerte an die ehemaligen Gräber.
Hier gab es keine Grabsteine, keine Gruften, keine Mausoleen. Der Armenfriedhof existierte nicht mehr. Die Toten waren entweder auf andere Friedhöfe verlegt oder verbrannt worden, und das Gelände war nun mit Gras und Unkraut bewachsen.
Jessica schaute auf die zerfurchte Erde. Sie dachte an die Generationen zukünftiger Kinder, die hier Drachen steigen lassen und Kickball spielen würden, ohne zu ahnen, dass unter ihren Füßen einst die sterblichen Überreste der Obdachlosen, der Armen und der Verlierer dieser Stadt geruht hatten.
Sie schritten langsam über den holprigen Boden und suchten nach irgendwelchen Hinweisen auf die frühere Nutzung des Geländes – einen vergrabenen Grabstein, einen Pfahl in der Erde, der auf die Grenze des Friedhofs hindeutete. Sie fanden nichts. Die Natur hatte schon lange dieses Gebiet zurückzuerobern begonnen.
»War das der einzige Armenfriedhof in dieser Gegend?«, fragte Jessica.
»Ja«, sagte Byrne. »Hier gab es nur diesen einen.«
Jessica drehte sich in alle Richtungen. Das sah alles nicht besonders vielversprechend aus, jedenfalls soweit es ihre Fälle betraf. »Wir vergeuden hier nur unsere Zeit, oder?«
Byrne erwiderte nichts. Stattdessen hockte er sich hin und strich über den nackten Boden. Nach zwei Minuten stand er wieder auf und rieb sich die Erde von den Händen.
Als Jessica ein Rascheln in den Bäumen hörte, hob sie den Kopf. Auf dem niedrigen Ast eines Ahorns saßen ein halbes Dutzend Krähen. Jedenfalls nahm sie an, dass es Krähen waren. Jessica wusste, dass sich Raben und Krähen kaum voneinander unterschieden. Kurz darauf landete wieder einer der schwarzen Vögel zwischen den anderen, die mit lautem Krächzen und Flügelschlagen darauf reagierten. Einer flog davon und stürzte sich auf die niedrigen Büsche auf der anderen Seite des Feldes. Jessica folgte ihm mit den Augen.
»Kevin«, sagte sie und zeigte auf den Vogel, bevor er außerhalb ihres Blickfeldes landete. Sie wechselten einen Blick und sprinteten los.
Noch bevor sie die halbe Strecke über das freie Gelände zurückgelegt hatten, entdeckten sie den unnatürlichen Schimmer zwischen dem Grün, den strahlend weißen Fleck, der in der Sonne glänzte.
Die letzten hundert Meter rannten sie, dann fanden sie den Leichnam in einer
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