Echo Einer Winternacht
er die Tür zum Drahtver-schlag geöffnet hatte, der die Regale mit den Kartons enthielt. Die Sicherheitsvorschriften waren das Schlimmste an der ganzen Sache. Bei jedem Karton musste man immer wieder die gleiche Prozedur vornehmen. Sie musste ihn vom Regal holen und zu dem Tisch bringen, wo der Dienst habende Kollege sie beobachten konnte. Sie musste die Fallnummer in ein Hauptbuch, dann ihren Namen, die Nummer und das Datum auf einem Blatt Papier eintragen, das am Deckel befestigt war. Erst dann konnte sie den Karton öffnen und den Inhalt durchsuchen. Wenn sie sich vergewissert hatte, dass er das nicht enthielt, was sie suchte, musste sie ihn zurückbringen und die ganze geisttötende Prozedur noch einmal durchmachen. Die einzige Unterbrechung dieser eintönigen Arbeit gab es, wenn ein weiterer Beamter kam, der ebenfalls etwas in einem dieser Kartons suchte. Aber das war gewöhnlich nur ein kurzes Zwischenspiel, weil sie immer das Glück hatten, dass sie wussten, wo das Gesuchte war.
Es gab keine einfache Methode, dies abzukürzen. Zuerst hatte Karen gemeint, die einfachste Art und Weise, die Suche durchzuführen, wäre, alles anzusehen, was ursprünglich aus St.
Andrews kam. Die Kartons waren in chronologischer Reihenfolge mit den Fallnummern beschriftet. Aber als man die Beweismaterial-Archive aus allen Polizeiwachen der Region zusammengelegt hatte, waren die Kartons aus St. Andrews auf die ganze Sammlung verteilt worden. Diese Möglichkeit war also ausgeschlossen.
Zuerst hatte sie alles aus dem Jahr 1978 überprüft. Aber das hatte nichts von Interesse gebracht außer einem Schweizer Messer, das zu einem Fall von 1987 gehörte. Dann hatte sie die Jahre davor und danach in Angriff genommen. Diesmal war ein Paar Kinderturnschuhe falsch einsortiert, ein Überbleibsel von einem ungelösten Fall des Jahres 1969, als ein zehnjähriger Junge verschwunden war. Sie gelangte schnell an den Punkt, wo sie gerade das gesuchte Stück leicht übersehen konnte, weil ihr Gehirn von der Prozedur schon ganz abgestumpft war.
Sie öffnete eine Dose Irn-Bru Light, nahm einen erfrischenden Schluck und begann mit 1980. Drittes Regal. Müde schleppte sie sich zur Trittleiter, die noch da stand, wo sie am Tag zuvor zu arbeiten aufgehört hatte. Sie kletterte hinauf, zog den Karton, den sie brauchte, heraus und stieg vorsichtig die Aluminium-stufen wieder herunter.
Wieder am Tisch, füllte sie den Zettel aus und hob dann den Deckel. Prima. Es sah aus wie ein Haufen Sachen, die bei der Kleidersammlung aussortiert worden waren. Gewissenhaft nahm sie jeden Beutel heraus, um zu sehen, ob Rosie Duffs Fallnummer auf dem aufgeklebten Etikett stand. Eine Jeans, ein schmutziges T-Shirt, ein Damenschlüpfer, Strumpfhosen, ein BH, ein kariertes Hemd. Nichts hatte etwas mit ihr zu tun. Das letzte Stück sah nach einer Damenstrickjacke aus. Karen nahm den Beutel heraus und erwartete sich nichts Besonderes davon.
Nach einem flüchtigen Blick auf das Etikett blinzelte sie, denn sie traute kaum ihren Augen. Sie überprüfte noch einmal die Nummer. Weil sie an sich selbst zweifelte, holte sie ihr Notizbuch aus der Tasche und verglich die Fallnummer auf dem Umschlag mit der auf dem Beutel, den sie fest in der Hand hielt.
Es war kein Irrtum. Karen hatte ein erstes Weihnachtsgeschenk gefunden.
29
Januar 2004, Schottland
r hatte recht gehabt. Es gab ein bestimmtes Muster. Durch die Feiertag
E
e war es unterbrochen worden, was ihn geärgert hatte. Aber jetzt war Neujahr vorbei, und die alte Routine hatte sich wieder eingestellt. Er beobachtete sie, wie sie, vom Lichtschein umgeben, aus der Haustür der Villa in Bearsden trat.
Augenblicke später gingen die Scheinwerfer ihres Wagens an.
Er wusste nicht, wo sie hinfuhr, und es war ihm auch egal. Das einzig Wichtige war, dass sie sich voraussehbar verhalten und ihren Mann allein im Haus zurückgelassen hatte.
Er schätzte, dass er gut vier Stunden Zeit haben würde, um seinen Plan durchzuführen. Aber er zwang sich zur Geduld. Es war unvernünftig, jetzt Risiken einzugehen. Am besten war es wohl zu warten, bis die Leute es sich für den Abend gemütlich gemacht hatten und vor dem Fernseher saßen. Aber zu lange sollte er auch nicht zögern. Er wollte nicht, dass ihn jemand beim letzten Gassigehen mit seinem Modehund traf, wenn er sich gerade aus dem Staube machen wollte. In der Vorstadt war alles so vorhersehbar, man hätte die Uhr danach stellen können.
Er versuchte sich selbst zu beruhigen
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