Echo Einer Winternacht
seines T-Shirts langsam verschwinden ließ. »Sie haben mich erstochen«, sagte er, fassungslos.
Der Einbrecher schwieg. Er zog den Arm zurück und stach noch einmal zu. Diesmal spürte David das Messer tief ein-dringen. Seine Beine gaben nach, er hustete und fiel vornüber.
Das Letzte, was er sah, war ein Paar abgenutzter Wanderstiefel.
Aus der Ferne hörte er eine Stimme, konnte aber die Laute, die sie machte, in seinem Kopf nicht mehr zu einem Ganzen ordnen.
Es war nur ein sinnloses Durcheinander von Silben. Als er das Bewusstsein verlor, kam er von dem Gedanken nicht los, wie schade es sei.
Als zwanzig Minuten nach Mitternacht das Telefon klingelte, hatte Lynn Alex’ Stimme erwartet, der sich entschuldigte, dass es so spät geworden sei, und sagte, er gehe jetzt gerade aus dem Restaurant weg, wo er mit einem potenziellen Kunden aus Göteborg gegessen hatte. Sie war nicht auf das Wehgeschrei gefasst, das ertönte, sobald sie den Hörer des Apparats am Bett abhob. Eine Frauenstimme, unzusammenhängend, aber offensichtlich schmerzverzerrt. Das war alles, was sie anfangs begriff.
Beim ersten Luftholen der Anruferin fragte Lynn schnell voller Besorgnis und Angst: »Wer ist da?«
Wieder panisches Schluchzen. Dann endlich ein vertrauter Klang. »Ich bin’s, Hélène. Gott steh mir bei, Lynn, es ist schrecklich, ganz entsetzlich.« Ihre Stimme versagte, und Lynn hörte sie unverständlich etwas auf Französisch murmeln.
»Hélène, was ist los? Was ist passiert?« Lynn schrie jetzt fast, weil sie das wirre Gefasel übertönen wollte. Sie hörte, wie Hélène tief einatmete.
»David. Ich glaube, er ist tot.«
Lynn verstand die Worte, konnte aber den Sinn nicht erfassen.
»Wovon redest du? Was ist passiert?«
»Ich bin nach Hause gekommen, er liegt in der Küche auf dem Boden, überall ist Blut, und er atmet nicht. Lynn, was soll ich tun? Ich glaube, er ist tot.«
»Hast du den Krankenwagen angerufen? Die Polizei?« Es war unwirklich, einfach surreal. Dass sie in so einem Moment eines solchen Gedankens fähig war, dachte Lynn verwirrt.
»Ich hab sie angerufen. Sie sind unterwegs. Aber ich musste mit jemandem reden. Ich hab Angst, Lynn, ich hab solche Angst. Ich begreife das nicht. Es ist schrecklich, ich werde verrückt. Er ist tot, mein David ist tot.«
Diesmal kam der Sinn der Worte rüber. Eine eiskalte Hand schien sich Lynn auf die Brust zu legen und nahm ihr den Atem.
So sollten die Dinge doch nicht laufen. Sie sollte doch nicht den Hörer abnehmen und, wenn sie erwartete, dass ihr Mann sich meldete, hören, der Bruder sei tot. »Das weißt du ja nicht sicher«, sagte sie hilflos.
»Er atmet nicht. Ich kann keinen Puls finden. Und da ist so viel Blut. Er ist tot, Lynn, ich weiß es. Was soll ich nur ohne ihn machen?«
»Das Blut – hat ihn jemand angegriffen?«
»Was sonst sollte passiert sein?«
Angst kam über Lynn wie ein kalter Schauer. »Verlass das Haus, Hélène. Warte draußen auf die Polizei. Er könnte noch im Haus sein.«
Hélène schrie auf. »Oh mein Gott. Meinst du, das kann sein?«
»Geh einfach raus. Ruf mich später an, wenn die Polizei da ist.« Es wurde aufgelegt. Lynn lag starr da, sie konnte gar nichts anfangen mit dem, was sie gerade erlebt hatte. Alex. Sie musste Alex rufen. Aber Hélène brauchte ihn nötiger als sie.
Benommen wählte sie die eingespeicherte Nummer auf ihrem Handy. Als er antwortete, kamen die lauten Hintergrundgeräusche eines Restaurants Lynn unpassend und bizarr vor.
»Alex«, sagte sie. Einen Augenblick brachte sie nichts weiter heraus.
»Lynn? Bist du das? Ist alles okay?« Seine Angst war offenkundig.
»Mir geht es gut. Aber ich habe gerade ein schreckliches Gespräch mit Hélène geführt. Alex, sie hat gesagt, Mondo ist tot.«
»Warte mal, ich kann dich nicht verstehen.«
Sie hörte, wie ein Stuhl zurückgeschoben wurde, und ein paar Sekunden später ließen die lauten Hintergrundgeräusche nach.
»Ich hab nicht mitgekriegt, was du gesagt hast. Was ist los?«
Lynn merkte, wie sie langsam die Beherrschung verlor. »Alex, du musst sofort zu Mondos Haus fahren. Hélène hat gerade angerufen. Etwas Furchtbares ist passiert. Sie sagt, Mondo ist tot.«
»Was?«
»Ich weiß, es ist unglaublich. Sie sagt, er liegt auf dem Küchenboden, und überall ist Blut. Bitte, du musst unbedingt hinfahren und nachsehen, was da los ist.« Jetzt liefen ihr Tränen über die Wangen.
»Hélène ist dort, im Haus? Und sie sagt, Mondo ist tot? Um
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