Echo Einer Winternacht
Rückzugs funktionierte bei seiner Mutter immer, die ihn für einen Intellektuellen hielt, weil er Bücher auf Französisch las.
Es schien ihrer Aufmerksamkeit entgangen zu sein, dass man das eben tun musste, wenn man Romanistik studierte und Examen machen wollte. Aber eigentlich war es gut so. Er hätte die tobenden Emotionen, die ihn zu überfluten drohten, nicht annähernd erklären können. Gewalttätigkeit war ihm völlig fremd, wie eine Fremdsprache, deren Grammatik und Wortschatz er sich niemals angeeignet hatte. Nach seiner kürzlichen Erfahrung damit fühlte er sich unsicher und seltsam.
Wenn er ehrlich war, konnte er nicht behaupten, es tue ihm leid, dass Rosie Duff tot war. Sie hatte ihn vor seinen Freunden mehr als einmal gedemütigt, wenn er sie mit den Sprüchen anzuquatschen versuchte, die bei den anderen Mädchen ankamen. Aber es tat ihm leid, dass ihr Tod ihn in diese schwierige Lage gebracht hatte, die er nicht verdiente.
Sex war das, was er jetzt wirklich brauchte. Das würde ihn von den Schrecken der letzten Nacht ablenken. Es wäre eine Art Therapie. So als wenn man sich wieder aufs Pferd setzt. Leider fehlte ihm die Annehmlichkeit einer Freundin in Kirkcaldy.
Vielleicht sollte er ein paar Anrufe machen. Eine oder zwei seiner Ehemaligen würden ganz froh sein, ihre Beziehung wieder aufzufrischen. Sie würden ihm ein williges Ohr für seine Qualen leihen und ihm wenigstens über die Ferienzeit hinweghelfen. Judith vielleicht. Oder Liz. Ja, wahrscheinlich Liz. Die Rundlichen waren immer so rührend dankbar für ein Rendezvous, sie kamen immer völlig mühelos rüber. Schon bei dem Gedanken spürte er, wie er hart wurde. Gerade als er vom Bett aufstehen und nach unten zum Telefon gehen wollte, klopfte es an die Tür. »Komm rein«, seufzte er müde und fragte sich, was seine Mutter jetzt wollte. Er setzte sich anders hin, um seine anstehende Erektion vor ihr zu verbergen.
Aber es war nicht seine Mutter, sondern seine fünfzehnjährige Schwester Lynn. »Mum dachte, du willst vielleicht eine Cola«, sagte sie und hielt ihm ein Glas hin.
»Ich wüsste Sachen, die ich lieber hätte«, sagte er.
»Du musst wirklich durcheinander sein«, sagte Lynn. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie das gewesen sein muss.«
Da keine Freundin hier war, musste er sich damit begnügen, seine Schwester zu beeindrucken. »Es war ganz schön hart«, sagte er. »So etwas möchte ich nicht so bald wieder erleben, und die Bullen waren primitiv und dumm wie Neandertaler. Warum sie es für notwendig hielten, uns wie IRA-Terroristen zu verhören, werde ich nie begreifen. Man brauchte wirklich Courage, sich denen zu stellen, kann ich dir sagen.«
Aus unerfindlichen Gründen brachte ihm Lynn nicht die spontane Bewunderung und Unterstützung entgegen, die er verdient hatte. Sie lehnte mit einem Gesichtsausdruck an der Wand, als warte sie nur auf eine Unterbrechung seines Wort-schwalls, damit sie zu dem kommen konnte, was ihr wirklich wichtig war. »Das muss es wohl«, sagte sie automatisch.
»Wir werden wahrscheinlich noch mehr Vernehmungen über uns ergehen lassen müssen«, fügte er hinzu.
»Es muss schrecklich gewesen sein für Alex. Wie geht’s ihm?«
»Gilly? Na ja, er ist ja nicht gerade ein Sensibelchen. Er wird drüber wegkommen.«
»Alex ist viel sensibler, als du glaubst«, sagte Lynn heftig.
»Nur weil er Rugby spielt, meinst du, er ist ein Muskelpaket ohne Herz. Er muss wirklich total fertig sein wegen der Sache, besonders weil er das Mädchen kannte.«
Mondo fluchte im Stillen vor sich hin. Er hatte ganz vergessen, dass seine Schwester in Alex verschossen war. Sie war nicht gekommen, um ihm eine Cola und ihr Mitgefühl anzubieten, sondern weil sie einen Vorwand suchte, über Alex sprechen zu können. »Es ist wahrscheinlich besser für ihn, dass er sie nicht so gut kannte, wie er es sich gewünscht hätte.«
»Was meinst du damit?«
»Er war unheimlich in sie verknallt. Er hat sie sogar gefragt, ob sie mit ihm ausgehen würde. Und wenn sie Ja gesagt hätte, kannst du jede Wette eingehen, dass Alex dann der Hauptverdächtige wäre.«
Lynn wurde rot. »Das hast du dir bloß ausgedacht. Alex würde doch keiner Bardame hinterherlaufen.«
Mondo warf ihr ein gemeines kurzes Lächeln zu. »Nicht? Ich glaube nicht, dass du deinen tollen Alex so gut kennst, wie du meinst.«
»Du bist ein Fiesling, weißt du das?«, sagte Lynn. »Warum sprichst du so gemein über Alex? Angeblich ist er doch einer
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