Echo Park
Doughnut oder sonst was?«
»Nein, danke. Ich bringe nur noch den ganzen Kram hier rüber, und dann bin ich auch schon weg.«
Bosch sah, dass Pratt einen der Reiseführer in der Hand hielt, die sonst auf seinem Schreibtisch lagen. Auf dem Cover stand West Indies.
»Sie sind am Recherchieren?«, fragte er.
»Ja, kann nie schaden. Haben Sie mal was von einer Insel gehört, die Nevis heißt?«
»Nein.«
Bosch hatte nur von den wenigsten Inseln gehört, nach denen sich Pratt im Zuge seiner Reiserecherchen erkundigte.
»Hier steht, dort kriegt man für weniger als vierhunderttausend Dollar eine alte Zuckerrohrmühle mit drei Hektar Grund. Also echt, so viel kriege ich schon locker raus, wenn ich allein nur mein Haus verkaufe.«
Das stimmte wahrscheinlich. Bosch war zwar nie in Pratts Haus oben in Sun Valley gewesen, aber er wusste, das Grundstück war groß genug, um ein paar Pferde darauf zu halten. Nachdem Pratt schon fast zwanzig Jahre dort wohnte, war das Anwesen inzwischen sicher ein Vermögen wert. Die Sache hatte nur einen Haken. Ein paar Wochen zuvor hatte Rider von ihrem Schreibtisch aus mitbekommen, wie Pratt sich in seinem Büro am Telefon über Fragen des Sorgerechts und des ehelichen Gemeinschaftsbesitzes erkundigte. Sie erzählte Bosch von dem Telefonat, und beide gelangten zu dem Schluss, dass Pratt mit einem Scheidungsanwalt gesprochen hatte.
»Möchten Sie denn Zucker herstellen?«, fragte Bosch.
»Natürlich nicht. Dafür war das Ganze früher mal bestimmt. Jetzt kauft man solche Gebäude, um sie zu renovieren und in eine Frühstückspension oder so was umzubauen.«
Bosch nickte nur. Pratt befand sich auf dem Weg in eine Welt, über die er nichts wusste und die ihn nicht interessierte.
»Wie auch immer«, sagte Pratt, der spürte, dass er kein wirklich interessiertes Publikum hatte, »man sieht sich. Ach, und übrigens – schön, dass Sie sich für die OIS in Schale geworfen haben. Die meisten beurlaubten Cops wären in Jeans und T-Shirt angeschlurft gekommen, wo sie mehr wie ein Verdächtiger ausgesehen hätten.«
»Man tut, was man kann.«
Pratt verließ das Büro, und Bosch wartete genau dreißig Sekunden. So lang würde sein Chef etwa brauchen, um zum Aufzug zu gehen. Dann packte Bosch einen Stoß Akten auf einen der Beweismittelbehälter und trug alles nach draußen. Er schaffte es, alles nach unten und zu seinem Auto zu bringen und wieder nach oben zu fahren, bevor Pratt aus der Cafeteria zurückkam. Er holte auch den zweiten Behälter und ging damit zum Lift. Niemand fragte, was er da tat oder wohin er mit den Unterlagen unterwegs war.
Nachdem er vom Parkplatz gefahren war, sah Bosch auf die Uhr und stellte fest, dass er bis zu seinem Mittagessen mit Rachel noch fast eine Stunde hatte. Die Zeit würde nicht reichen, um die Unterlagen nach Hause zu bringen – außerdem wäre es ohnehin Zeit- und Benzinverschwendung. Kurz überlegte er, ob er das Mittagessen absagen sollte, damit er gleich nach Hause fahren und mit dem Aktenstudium beginnen könnte, aber er kam rasch wieder davon ab, denn er wusste, es konnte auf keinen Fall schaden, mit Rachel über die Sache zu reden. Vielleicht hatte sie auch ein paar Ideen, was Waits mit dem, was er O’Shea nach der Schießerei hinterhergerufen hatte, gemeint haben könnte.
Er konnte auch jetzt schon zu dem Restaurant fahren und mit der Durchsicht der Akten beginnen, während er auf Rachel wartete. Allerdings war ihm klar, dass er sich Ärger einhandeln konnte, wenn ein Gast oder Kellner zufällig einen Blick auf eins der Fotos in den Mordbüchern erhaschte.
Die Zentrale der Stadtbibliothek befand sich im selben Häuserblock wie das Restaurant, und er beschloss, dorthin zu gehen. Dort konnte er in einem der Einzelabteile ungestört die Akten studieren und sich dann pünktlich im Restaurant mit Rachel treffen.
Nachdem er in der Tiefgarage der Bibliothek geparkt hatte, ging er mit den Mordbüchern der Fälle Gesto und Fitzpatrick zum Lift. Er fand in einem Lesesaal der weitläufigen Bibliothek ein freies Einzelabteil und begann mit der Durchsicht der mitgebrachten Dokumente. Da er mit der Gesto-Akte bereits in Riders Krankenzimmer begonnen hatte, beschloss er, dort weiterzumachen und sie zunächst ganz durchzuarbeiten.
Weil er die Dokumente und Protokolle in der Reihenfolge durchging, in der sie abgeheftet worden waren, kam er erst ganz zum Schluss zur Ermittlungschronologie, die üblicherweise am Ende eines Mordbuchs abgeheftet wurde. Bei
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