Echo: Roman (German Edition)
Fluss unter mir vorüberströmte.
Der Melony wurde an dieser Stelle etwas schmaler, weshalb die Strömung zunahm. Ungefähr einen Kilometer flussabwärts quetschte er sich dann durch die Chambourgschlucht, raste donnernd dahin und schoss an einer Reihe großer Felsen vorbei, ehe er an den Chambourgfällen zwanzig Meter hinunter in die Tiefe stürzte. Die Eigner des Tardy’s hatten einige Jahre lang versucht, mit ihrem Restaurant auf einen der Felsen gleich oberhalb der Wasserfälle umzuziehen. Aber ihre Bemühungen lösten erfreulicherweise stets so viel Empörung aus, dass die Politiker nicht wagten, den Plänen zuzustimmen.
Ich hatte gerade den halben Weg über den Fluss hinter mir, als mir einfiel, wo ich die Frau an dem Tisch schon einmal gesehen hatte. Sie war in dem Zug nach Carnaiva gewesen. Sie war die Frau, die an der Kremierungsstation eingestiegen war, die Bestatterin.
Ich sah zum Tardy’s zurück. Das Restaurant vermittelte ein wenig den Eindruck eines baufälligen Bootshauses, was einen Teil seines Charmes ausmachte. Eine Schar Möwen flog kreischend vorüber. Ich überlegte, ob ich umkehren sollte. Aber Zufälle passieren.
Eine Stunde nach meiner Rückkehr ins Büro meldete Jacob, dass ein Anruf von Brian Lewis eingegangen wäre. »Er möchte Alex sprechen.«
»Ich übernehme das«, sagte ich.
Ich hatte versucht, eine Abschrift der Verfassung der Konföderation aufzutreiben, die sich im Besitz eines Steven Silver befunden hatte. Bei Verabschiedung der Verfassung hatte es
dreihundertsechsundzwanzig Kopien von ihr gegeben. Silver, ein weltberühmter Sammler, hatte eine davon ergattert. Er war gestorben, und die Abschrift war verschwunden. Das Ding war ein Vermögen wert. Alex war bereits seit zwei Jahren auf der Suche nach der Kopie. Aber die Spur war längst erkaltet. Nachdem ich so in die Arbeit vertieft gewesen war, brauchte ich einen Moment, um mich zu sammeln, ehe ich mich auf die Person konzentrieren konnte, die sich mitten im Büro materialisierte. Zuerst dachte ich, Lewis hätte beschlossen, unser Angebot anzunehmen und uns gegen Bezahlung einen Blick auf die Tafel werfen zu lassen. »Hallo, Brian«, sagte ich, »wie geht es Ihnen?«
Er sah nicht gerade glücklich aus. »Ging schon mal besser, Chase. Ist Alex irgendwo in der Nähe?«
Ich glaube, ich hatte bereits erwähnt, dass Brian ein großer Mann war. Als ich ihn am Spielfeld in Conneltown gesehen hatte und später draußen auf dem Ozean, war er mir feindselig und zornig vorgekommen. Doch jetzt war davon nichts mehr zu spüren. Er stand einfach nur ganz arglos vor mir und wartete. »Tut mir leid, Brian, aber er ist mit einem Klienten unterwegs. Kann ich Ihnen helfen?«
»Könnten Sie ihn kontaktieren?« Er war salopp gekleidet und schien auf dem Vordersitz eines parkenden Gleiters zu sitzen. Die Luke war offen, und seine Beine hingen aus dem Flieger heraus. Ich hatte das sichere Gefühl, dass er gerade einen Flug hatte antreten wollen, dann aber einem Impuls folgend gezögert und angerufen hatte.
»Leider nicht, Brian. Er schaltet ab, wenn er mit jemandem ausgeht.«
Brian wischte sich mit der Hand über den Mund. Nagte an der Unterlippe. »Okay« , sagte er und wollte die Verbindung unterbrechen.
»Brian, wie kann ich Ihnen helfen?«
Er zögerte. Dann: »Gar nicht, Chase. Tut mir leid, dass ich Sie gestört habe.«
»Etwas muss ich doch tun können«, beharrte ich.
»Ich muss Alex sprechen.«
»Wegen der Tafel?«
Er kletterte aus dem Gleiter. Es war der Schildwacht. »Sieht so aus.«
»Brian, sind Sie damit einverstanden, wenn ich dieses Gespräch aufzeichne? Auf diese Weise kann ich es wortgetreu an Alex weiterleiten.«
»Klar. Mir egal. Zeichnen Sie auf, was Sie wollen!«
»Okay, ich zeichne jetzt auf.«
»Schön.«
»Unser Angebot gilt noch, Brian.«
»Ihr Geld interessiert mich wirklich nicht. Darum geht es hier nicht.«
»Okay.« Eine lange Pause trat ein, in der wir einander nur anstarrten. »Worum geht es denn?«
»Rachel.«
»Ich höre.«
»Also, schön, aber zuerst muss ich Ihnen sagen, dass ich keine Ahnung habe, was eigentlich los ist. Warum Rachel sich so verhält, wie sie es tut. Aber sie ist ein guter Mensch ...«
»Okay.«
»Jedenfalls wollte ich, dass Sie und Alex erfahren, dass Sie sie in ein nervöses Wrack verwandelt haben. Ich habe Angst, dass irgendetwas passiert!«
»Warum ist sie denn so nervös, Brian?«
»Ich habe es Ihnen doch gesagt, ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung, was das
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