Echt easy, Frau Freitag!: Das Allerneueste aus dem Schulalltag
wartet noch die Hälfte meiner Klasse mit Familienanhang. Ich befasse mich mal wieder viel zu lange mit jedem. Vor allem mit denen, bei denen ich nur Positives zu berichten habe. Die nicht so erfolgreichen Schüler schicke ich immer schnell zu den Fachlehrern, damit dort wenigstens noch was gerettet werden kann.
»Erhan? Ist noch was?«
»Also, Frau Freitag, also mein Vater, der muss ja arbeiten. Sonst wäre er heute mitgekommen. Und der glaubt mir bestimmt nicht, dass ich gut bin.« Erhan holt sein Handy raus. Ein schickes Smartphone. Nicht, das ich mich auskennen würde mit der modernen Telekommunikation, aber seins glänzt auf jeden Fall mehr als meine alte Gurke.
»Ja, ich dachte … Äh, vielleicht kann ich Sie filmen, und Sie sagen meinem Vater, dass alles gut ist. Dann kann ich es ihm heute Abend zeigen.«
Filmen? Sofort steigt leichte Verunsicherung in mir auf. Nein, Panik! Wie sehe ich aus? Ist meine Nase noch so rot? Draußen war es kalt. Vielleicht denkt der Vater dann, dass Erhans Klassenlehrerin Alkoholikerin ist.
»Filmen, äh? Okay. Aber, Erhan, nicht, dass du das dann später auf Facebook stellst.«
»Ich bin gar nicht bei Facebook«, beruhigt er mich. Natürlich ist er nicht bei Facebook. Das würde auch gar nicht zu ihm passen.
»Okay, dann leg mal los.« Erhan und seine Mutter lächeln erleichtert. Wahrscheinlich haben sie diesen ungewöhnlichen Plan gemeinsam ausgeheckt.
»Also, wenn ich ›Jetzt‹ sage, dann sprechen Sie, okay?« Erhan hält das Handy in meine Richtung. Ich setze mich aufrecht hin. Wir warten alle gespannt. Sogar Erhans kleiner Bruder ist von der Tischplatte aufgetaucht.
»Jetzt!«
»Hallo, Papa Erhan. Wir sind hier beim Elternsprechtag. Ich habe gerade mit Ihrer Frau und Ihrem Sohn gesprochen. Erhan ist in allen Fächern gut! Er macht toll mit und bekommt gute Zensuren. Sein Verhalten ist auch super. Alles ganz, ganz toll!« Um meiner kleinen Rede Nachdruck zu verleihen, hebe ich noch beide Daumen und grinse mein breitestes Grinsen. »Top! Wirklich.«
Erhan steckt das Handy wieder ein, und wir verabschieden uns. Alle strahlen.
Der Lieblingsschüler ist einfach cool
»Yooo, Frau Freitag!«
Ich komme aus dem Treppenhaus und will in Raum 301. Die Prüflinge warten schon. »Yooo! Super, na, jetzt kann ja nichts mehr schiefgehen, wenn Sie jetzt da sind«, sagt der Lieblingsschüler, während ich den Raum aufschließe. Den Lieblingsschüler habe ich vor Jahren unterrichtet. Als er dann in die Oberstufe wechselte, kam er immer mal zum Quatschen vorbei. Er ist ziemlich schlau und attraktiv.
Mit mir und dem Lieblingsschüler betreten drei ziemlich unaufgeregte Oberstüfler das Wartezimmer. Von hier werden sie zehn Minuten später in den Vorbereitungsraum geholt. Dort bereiten sie sich auf die letzte Hürde vor der Freiheit vor: die letzte mündliche Prüfung. Damit wir mehrmals hintereinander die gleichen Abithemen rannehmen können, halten wir die Abiturienten in verschiedenen Räumen fest.
»Abitur … Mensch, Mensch, wie die Zeit vergeht. Seid ihr aufgeregt?«
Ich kann sie einfach nicht siezen. Ich habe sie alle von der 7. bis zur 10. und teilweise auch noch in der 11. Klasse unterrichtet. Ich duze sie immer. Mich wundert, dass sie mich noch nicht duzen.
»Aufgeregt? Nö.« Der Lieblingsschüler ist einfach cool.
» Abo , Frau Freitag, ich mach mir gleich in die Hose.« Die Mädchen sind nicht so cool.
Ich erinnere mich an meine Pflichten: »Ihr müsst hier unterschreiben, kommt mal her. Fühlt ihr euch gesundheitlich in der Lage, an der Prüfung teilzunehmen, also, ich meine, geprüft zu werden?«
»Was ist denn, wenn ich mich jetzt gut fühle und später nicht mehr? Kann ich das nicht später unterschreiben?« Mona ist ziemlich nervös. Ich schiebe ihr das Blatt rüber. »Mona, du schaffst das schon. Tief durchatmen, in den Bauch rein.«
»Frau Freitag, haben Sie einen Stift?« Der Lieblingsschüler ist einfach zu cool. Hat noch nicht mal einen Stift dabei.
»Nimm doch von mir!«, bietet Mona an. Mona hat zwei Federtaschen mit.
Ich überprüfe die Zettel. Gleich werden sie abgeholt. »Was ist denn mit Ufuk? Der hat doch auch Prüfung, oder?«
»Der ist noch nicht da«, sagt Mona, die mit ihren Aufzeichnungen hin- und herläuft.
Noch drei Minuten. Plötzlich geht die Tür auf, Ufuk schlendert rein.
»Da bist du ja, Alter«, begrüßt ihn der Lieblingsschüler und umarmt ihn männlich. Mona nickt ihm kurz zu. Sie will nicht mehr beim Lernen gestört
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