Echt easy, Frau Freitag!: Das Allerneueste aus dem Schulalltag
öffne damit den Gullideckel. Jetzt reden sie alle durcheinander.
»Er fragt, ob mein Hintern und meine Brüste operiert sind.«
»Er sagt: Ich mach dir noch eine Schwester. Ich ficke morgen mit deine Mutter.«
»Er kommt morgens und sagt: Komm erzähl doch mal, wie gut es gestern mit uns beiden war. Voll eklig.« Die Mädchen schütteln sich angewidert.
»Okay«, sage ich. »Was machen wir jetzt?«
Chanel hat die Idee: »Frau Freitag, holen Sie doch Hamid, und wir sagen ihm das alles.« Ein hervorragender Vorschlag.
Einige Minuten später sitzt Hamid vor allen Mädchen der Klasse und muss sich so einiges anhören. »Was haben dir denn deine Eltern beigebracht. Hamid, wie du mit uns redest, das geht nicht. Wir sind nicht solche Mädchen. Wenn du solche Mädchen brauchst, dann hol sie dir von der Straße. Aber rede so nicht mit uns.« Chanel macht das super. Also überlassen wir ihr auch den Rest der Ansprache. »Das muss sofort aufhören. Ich will mit deinen Eltern sprechen und sie fragen, ob sie dich so erzogen haben. Die müssen das hören, wie du mit uns redest. So redet man nicht mit Mädchen.«
Hamid sackt in sich zusammen wie ein alter Luftballon. Am besten gefällt mir der Part, wo Chanel sagt, dass sie mit seinen Eltern sprechen will. Er guckt auf seine Schuhe, aber die scheinen ihm auch nicht zu helfen. Die Erzieherin nicht und ich auch nicht.
Am Ende schlurft Hamid nach draußen. Der hat seine Packung erhalten. Hoffentlich lernt er was daraus.
Vergnügt und zufrieden verabschieden sich die Mädchen von uns. »Danke, Frau Freitag.«
»Danke? Wofür? Ich habe zu danken! Das habt ihr wirklich toll gemacht.«
Hamid in der Warteschleife
»Sollen wir einen Stuhlkreis machen?«
»Och nööö, Frau Freitag. Das dauert so lange.«
»Okay, aber dann sollen sich die, die in der Mitte sitzen, an den Rand setzen, damit sich alle sehen können.« Ich bin mir nicht sicher, wie das jetzt werden wird.
Unser erster Klassenrat. Oder wenigstens eine abgespeckte Version davon. Hamid und sein Verhalten haben mich nach Chanels Ansprache am Freitag noch das gesamte Wochenende beschäftigt. Mit Mama Hamid habe ich sogar noch am Sonntag während des Tatort telefoniert. Wie sich herausstellte, hat Hamid nicht nur meine Mädchen wiederholt beleidigt, sondern auch andere Schüler der Klasse massiv unterdrückt. Die Erzieherin und ich waren auf 180. Schon nach dem Showdown mit den Mädchen stand für uns fest, dass wir ihn nicht mit auf die Klassenfahrt nehmen werden. Dann tausend Telefonate – mit Hamid, mit anderen Müttern, mit der Erzieherin und schließlich eben auch mit Hamids Mutter. Nach jedem Gespräch war ich aufs Neue verunsichert: Haben wir uns richtig entschieden? Waren wir zu hart? Ist die Sache wirklich so und nicht anders gelaufen?
Am Sonntag um 23.00 Uhr war ich sehr viel unschlauer als noch Freitagnachmittag.
Am Montag beschließen die Erzieherin und ich, alles mit der Klasse zu besprechen. Der Deutschlehrer, der alte Diplomat, gibt mir Tipps. Dann ist es endlich so weit. Unser Plan sieht zunächst Aufklärung vor.
Erste Stunde: Die Erzieherin und ich schreiben zwei Themen, die beide Hamid betreffen, an die Tafel, inklusive ein paar Stichwörter. Jeder Schüler soll aufschreiben, was ihm oder ihr dazu einfällt. Anonym. In absoluter Ruhe fassen die Schüler alles zusammen. Kurz vor dem Ende der Stunde sammeln wir die Blätter ein und lesen sie vor. Am Ende kommt ein lückenloses Bild zustande.
Ein paar Stunden später folgt der nächste Punkt, unsere Demokratieübung:
Ich erkläre kurz einige grundsätzliche Gesprächsregeln, Rosa führt die Rednerliste. Die Schüler melden sich, sagen sachlich ihre Meinung, gehen aufeinander ein, keine Unterbrechungen, keine Kommentare, keine Beleidigungen. Nur mir fällt es schwer, nicht immer sofort pädagogische Zusätze in den Raum zu werfen. Denn auch ich muss mich melden und warten, bis ich dran bin. Voll anstrengend für jemanden, der es gewohnt ist, IMMER zu sprechen, wenn er gerade Bock drauf hat.
Zunächst geht es allgemein um die Klasse. Ich frage, warum sich die Mädchen untereinander so gut verstehen und wie das bei den Jungs sei.
Die Mädchen haben das schnell erklärt und stellen fest, dass sich die Jungs gerne mal aus Spaß hauen und ärgern. Hamid sagt, dass er in den Pausen immer mit den Leuten aus seiner Grundschule zusammen ist und seine Mitschüler deshalb gar nicht so gut kennt. Überhaupt wird vermutet, dass sich alle besser verstehen
Weitere Kostenlose Bücher