Echt? In der DDR gab's mehrere Parteien? - Ein Ossi und ein Wessi beginnen einen Dialog (German Edition)
umhin, mir auch mal eine Vier oder Fünf ins Klassenbuch einzutragen, wie ich es allerdings dann immer zu einer Drei auf dem Zeugnis schaffte, habe ich meinen Sportlehrer nie zu fragen gewagt.
Daniel: Mitgemacht haben die Lehrer bei uns eher nicht. Du sprichst hier gerade von Turnübungen. Was stand eigentlich bei euch im Sportunterricht im Vordergrund? Mehr das Geräteturnen?
Bei uns war es ganz klar der Fußball. Zweidrittel der Sportlehrer, die ich in meiner gesamten Schulzeit hatte, waren ehemalige Profi-Spieler aus der ersten und zweiten Bundesliga. Du kannst dir vorstellen, wie so eine Doppelstunde Sport ausgesehen hat: Bestenfalls 30 Minuten normales Turnen am Anfang, wobei es oft gleich Noten gab für Übungen, die wir vielleicht zum zweiten Mal überhaupt machen mussten – das verlangte halt der Lehrplan. Danach dann Teams bilden und möglichst viel Fußball spielen. Dafür gab es dann selten Noten, da ging es auch den Lehrern mehr um den Spaß!
Christian: Geräteturnen hatten wir sehr viel. Da habe ich immer eine meiner seltenen Einser im Fach Sport bekommen. Meine Rollen auf dem Barren setzten nicht nur meine Mitschüler, sondern auch den Sportlehrer in Erstaunen, machten sogar Spaß, waren aber nie für mich Antrieb, weitere Übungen in Angriff zu nehmen. Fußball hingegen wurde bei uns so gut wie nie gespielt. Höchstens mal in einer Sportstunde vor den Ferien. Fußball ist eh nur etwas zum Genießen am Fernseher!
Mein Sportlehrer mutierte zu meinem Lieblingslehrer, vielleicht deshalb, weil er auch mein Lieblingsfach Deutsch unterrichtete. Deutsch war damals in meiner Schule noch einmal in Literatur und Rechtschreibung geteilt. In Literatur unterhielt sich mein Lehrer oft in der Schulstunde nur mit mir allein über Bücher, die wir zu Hause zu lesen hatten. „Das siebte Kreuz" von Anna Seghers oder „Wie der Stahl gehärtet wurde" von Nikolai Ostrowski gehörten zur Pflichtlektüre einer jungen sozialistischen Persönlichkeit. Oft hatte ich als einziger Schüler das Buch gelesen und so musste sich mein Lehrer ganz allein mit mir über sozialistische Gegenwartsliteratur unterhalten.
Daniel: Klingt gar nicht so schlecht. Von der einseitigen Literaturauswahl mal abgesehen. Bei uns gab es Literatur nicht als Extrafach. Nur als zweijähriger Sonderkurs in der zwölften und dreizehnten Klasse in dem Wirtschaftsgymnasium, wo ich mein Abitur gemacht habe. Aber daran konnte ich nicht teilnehmen, weil ich schon Spanisch hatte.
Christian: Einmal, ich erinnere mich noch sehr genau an die Szene. Da setzte er sich zu Beginn der Deutschstunde auf den Lehrertisch und musste uns erst einmal eine Geschichte erzählen, die ihn persönlich seit Tagen sehr beschäftigte. Er hatte einen Antrag an die Partei gestellt und um Aufnahme in die SED gebeten. Manche denken heute vielleicht, die Partei hat sich über jeden gefreut, der kam, aber dies war längst nicht so.
Daniel: Hätte ich jetzt auch gedacht. War denen der Verwaltungsaufwand zu hoch? Oder war es gar wie bei der NSDAP, wo die irgendwann aus Angst vor Opportunisten die Aufnahmen verlangsamt haben?
Christian: Der einfache Grund war, dass die DDR ein von den Arbeitern und Bauern regiertes Land war. Da durfte die Anzahl der Intelligenzler innerhalb der SED-Parteimitglieder im Kreis Bützow eine bestimmte Prozentzahl nicht übersteigen. Das waren Prinzipien und die wurden eingehalten, egal was da sonst noch so lief.
Er hatte also seinen Antrag abgegeben und ahnte nichts Böses. Der normale Verlauf wäre gewesen, dass man einen gewissen Zeitraum als Kandidat der SED galt und einen erfahrenen Genossen an die Seite gestellt bekam, den man alles fragen konnte. Aber so weit kam mein Deutschlehrer gar nicht. Sehr schnell wurde ihm mitgeteilt, dass sein Antrag abgelehnt wurde. Warum? Man mag heute darüber lachen, aber es gab extra Leute in der SED-Kreisebene, die darauf zu achten hatten, dass der Prozentsatz der Arbeiter und Bauern aller SED-Mitglieder immer die absolute Mehrheit bildete. Für mich war dies etwas völlig Neues und mein Lehrer war ziemlich getroffen. Im Nachhinein ist es aber sicher ganz gut gelaufen. Nach der Wende wurde er Schulleiter und sogar Stadtpräsident.
11. Wie ich mit meinem Pastor Farbe stahl
Christian: Ich hatte das große Glück, in einer privaten Malerfirma den Beruf des Malers zu erlernen. Mit zehn Gesellen und zwei Lehrlingen hatte die Firma eine Größe erreicht, die nicht mehr zu überbieten war. Größer,
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