Echt? In der DDR gab's mehrere Parteien? - Ein Ossi und ein Wessi beginnen einen Dialog (German Edition)
An ein Konzert mit Mireille Matthieu in der Rostocker Sport- und Kongresshalle kann ich mich allerdings noch sehr gut erinnern. Es war Anfang der 80er Jahre. Gemeinsam mit einem Rollstuhlfahrer machten wir uns mutig auf den Weg zur Konzerthalle. Eintrittskarten hatten wir keine. Aber ich hatte ja eine große Klappe und einen Rollifahrer, den ich schob. Sehr hilfsbereit wurden wir in der Halle begrüßt. Der Rollstuhlfahrer bezahlte, bekam seine Eintrittskarte, und als ich bezahlen wollte, wurde mir eröffnet: „Sie sind doch die Begleitperson des Kollegen, sie müssen nicht bezahlen."
So saßen wir bei dem mehrstündigen Konzert in der ersten Reihe und es war ein großes Erlebnis für mich, so einen Wessi mal live erleben zu dürfen. Das Bewegendste war, als das Konzert zu Ende war und die Halle tobte und alles „Zugabe" rief, da kam die kleine zierliche Französin und sprach in sehr schlechtem Deutsch zu uns. Sie erzählte uns von guten und schlechten Zeiten und sie sagte, dass Lieder dazu da sind, den Blick nach vorn nicht zu vergessen. Alles war so doppeldeutig und ich hatte Angst, dass jemand einschreiten würde, aber es geschah nichts. Danach sang diese große Künstlerin „Unter der Laterne". Viele haben geweint und sogar der damals junge Christian hat mehrmals geschluckt. Das sind Momente im Leben, die man nie vergisst.
Kurze Zeit später schon begann es dann in der DDR-Bevölkerung kräftig zu brodeln und es wurden die Deliläden erfunden. Damit besänftigte man ein wenig die DDR-Bürger, die keine Möglichkeit hatten, an das Geld des Klassenfeindes zu gelangen.
Daniel: Okay. Was ist das denn nun wieder? Ein Delikatessen-Laden?
Chrisitan: In Deliläden bekamen die DDR-Bürger Westwaren zu kaufen und konnten anders als im Intershop mit DDR-Mark bezahlen. Man wollte damit Ruhe in die DDR-Bevölkerung hineinbekommen. Aber diese Waren hatten so hohe Preise, dass wieder nur sehr reiche Leute dort einkaufen konnten. Damals konnte es wohl noch niemand so gut einschätzen, heute denke ich, ab etwa diesem Zeitpunkt ging es mit der DDR rapide abwärts.
10. Ich darf nicht in die Partei
Christian: Das schlimmste Unterrichtsfach für mich in der Schule war Sport. Ich war zu klein geraten, mein Bauch dafür zu groß – ich hasste Sport abgrundtief.
Daniel: Kann ich verstehen, das ging mir ähnlich, obwohl ich eigentlich nicht klein geraten bin. Aber ich hatte große Probleme mit dem Fangen von Bällen und dem Dribbeln in der ersten Klasse. Das wurde später zwar besser, aber irgendwie haben mich immer alle Team-Chefs als letztes aufgerufen, wenn sie im Schulsport Mannschaften gebildet haben. Und so hat sich das eben eingebürgert. Meine Motivation, überhaupt noch Sport zu machen, ging gegen null.
Heute habe ich den wiederkehrenden Alptraum, dass ich das Abitur noch einmal machen muss, aber weil ich zu oft beim Sportunterricht fehle, falle ich durch ...
Christian: Ich hatte das Pech in der DDR aufzuwachsen. Sie definierte sich über den Sport. Bis in den kleinsten Wohnort hinein war der Sport durchorganisiert. Es gab Bezirks- und Kreisolympiaden, Crossläufe und vieles andere mehr. Der Spruch „Sport ist Mord und Massensport ist Massenmord" ist zu der Zeit entstanden und ich war ein glühender Verfechter dieser Parole.
Daniel: Gut. Westdeutschland war sportmäßig auch gut erschlossen. Allein in unserem Stadtteil gab es dreißig Sportvereine, dazu natürlich den Schulsport und jedes Jahr die Bundesjugendspiele, bei denen alle Schüler antreten mussten. Wenn man irgendwann aber mal den Ruf der Sportniete weg hatte, dann haben die Sportlehrer dich nicht weiter beachtet, und sich stattdessen auf das Training der vielversprechenden Supersportler konzentriert, mit denen sich dann hoffentlich ein paar Medaillen für die Schule gewinnen ließen.
Zum Glück wurde man als Sportniete meist auch nicht schlechter als mit einer 3 benotet. Wie war das bei euch?
Christian: Bei allem Pech hatte ich den großen Glücksfall, von einem jungen Sportlehrer unterrichtet zu werden, der alle Turnübungen selbst vorturnte und sich auch nicht zu schade war, um alle geforderten Runden beim Ausdauerlauf um unseren Schwaaner Schottberg mitzulaufen. Dieses Vor- oder Mitturnen meines Sportlehrers war den wenigen Schlusslichtern meiner Klasse oft Ansporn, doch durchzuhalten. Was die Benotung angeht, auf meinem Zeugnis stand nie eine schlechtere Sportnote als Drei. Bei genau messbaren Sportleistungen kam er nicht
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