Echt? In der DDR gab's mehrere Parteien? - Ein Ossi und ein Wessi beginnen einen Dialog (German Edition)
standen dann einige wenige Topfblumen in diesem Laden, aber ansonsten war fast immer gähnende Leere in dieser Verkaufseinrichtung. Oft sah ich die Verkäuferin im Laden sitzend lesen oder stricken. Um ihr Gehalt brauchte sie sich keine Gedanken zu machen. Dieser Blumenladen war ein staatlicher, das Gehalt kam also unabhängig vom Umsatz.
Daniel: Staatlicher Blumenladen? Um die Grundversorgung der Menschen mit Blumen zu decken oder wie? Waren eigentlich alle Geschäfte bei euch staatlich?
Christian: Staatlich war bei uns so gut wie alles. Die staatliche Plankommission beim ZK der SED unter Vorsitz des Genossen Gerhard Schürer hat im 5-Jahres-Takt alles geplant. Egal, ob es der Wohnungsbau, die Herstellung von Hosen oder die Belieferung mit Blumen war. Stimmten die Zahlen mal nicht, wurden sie geschönt. Dem real existierenden Sozialismus war nichts fremd.
Blumenläden waren so gut wie immer staatlich. Über die DDR verteilt gab es hin und wieder allerdings private Bäcker oder auch Schuhmachermeister. Dort gab es immer gute Bedienung, weil der erwirtschaftete Umsatz halt ins eigene Portmonee wanderte.
Dies ist nur ein Beispiel von vielen. Dass man auf einen Trabi mindestens zehn Jahre warten musste, wird sich ja wohl inzwischen bis zu dir nach Mannheim herumgesprochen haben. Neben Klopapier und Fleisch waren aber auch Schallplatten und Musikkassetten absolute Mangelware.
Daniel: Ja, das mit den Trabi-Wartezeiten war, glaube ich, das Erste, was ich als Kind über die DDR-Wirtschaft erzählt bekommen habe. Aber wenn es nicht mal genug Musikkassetten gab – das geht dann wirklich ans Existenzielle. Wenn man kein eigenes Auto hat, na gut. Aber dazu auch noch keine Musik, um darüber hinweg zu trösten. Bei uns gab es natürlich nie Probleme, an Kassetten zu kommen. Die meisten Kassetten wurden damals eh auf der anderen Seite vom Rhein – bei der BASF in Ludwigshafen – hergestellt.
Christian: Sag das mal nicht so schnell heute: „Wenn man kein eigenes Auto hat, na gut." Es gab gerade im ländlichen Raum längst nicht so viele Bus- oder Zugverbindungen. Damals war das Fahrrad, oftmals auch mit Anhänger, ein wichtiges Fortbewegungsmittel, nicht so wie heute ein Sportartikel.
Da jedoch immer mehr DDR-Bürger Westfernsehen sehen konnten, wuchs natürlich auch der Wunsch nach Westmusik. Ich war zu der Zeit glühender Fan von der ZDF-Hitparade und dem Oberförster von Tony Marschall. Selbstverständlich gab es weder eine Schallplatte noch eine Kassette von ihm zu kaufen. In dieser Situation kamen mir die ideologischen Strategen der DDR-Planwirtschaft zu Hilfe. Damals wurden in fast allen Kreisstädten Intershops eröffnet.
Ab sofort war dies das Zauberwort für alle Versorgungslücken, allerdings nur, wenn man Westverwandtschaft hatte, die einem armen Ostverwandten Westmark gaben. Mit dem Westgeld in der Hand marschierte ich über den Güstrower Marktplatz und stand vor dem Schaufenster des Intershops. Du kannst dir nicht vorstellen, was das für ein Gefühl war. Ich zögerte beim Eintreten.
Allein der Duft im Laden war überwältigend. Sofort fühlte ich mich an meine weihnachtlichen Westpakete erinnert. Zeit, um dies zu verarbeiten, hatte ich nicht. Den nächsten Schock erlitt ich, als ich vor dem Regal mit Schokolade stand. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich, dass es mehrere Sorten gab. Bald entdeckte ich die Schallplattenecke und erblickte vom Cover einer Platte meinen Helden, Tony Marschall.
Vielleicht bekommst du jetzt einen Lachkrampf, aber als ich gemeinsam mit Tony Marschall über den Güstrower Marktplatz Richtung Bahnhof lief, kam ich mir vor wie im Ausnahmezustand. Selbstverständlich musste ich im Zug des Öfteren die Platte aus der Tasche herausholen, damit auch jeder sah, dass ich im Intershop gewesen war.
Daniel: Keine Angst. Als Kind habe ich auch die ZDF-Hitparade geschaut. Viel Auswahl gab es damals im Fernsehen ja noch nicht, und die Show war immer schön bunt und lustig.
Tony Marshall ist nie in der DDR aufgetreten, oder? Es gab ja ein paar Westmusiker, die aus Prinzip in den 80ern im Osten aufgetreten sind, beispielsweise Peter Maffay und Udo Lindenberg. Gab es so etwas oft und hast du so etwas auch mal mitbekommen – oder musstet ihr euch dann doch mit den Platten begnügen.
Christian: In die Konzertsäle von Maffay und Lindenberg habe ich es nie geschafft. Was meinst du, wie viele Genossen jeweils im Publikum saßen und aufpassten, dass alles systemtreu ablief.
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