Echte Vampire haben Kurven
gefährlichen Irren anvertraut hatte. Auch wenn es mir sehr gegen den Strich ging, ich würde Damian anrufen, sobald Ryan weg war. Jemand musste nachsehen, ob es Flo gut ging.
»Du kannst für heute Schluss machen, wenn du möchtest. Ich bin ja jetzt hier.«
»Eine Kundin ist noch in der Umkleide.« Ryan deutete mit dem Daumen hinter sich. »Auf die warte ich noch, wegen meiner Provision.«
»Die schreibe ich dir auch so gut. Und jetzt mach die Flatter.« Als ich ihm die Hand auf den Arm legte, fuhr er zusammen. Lieber Himmel, was war der Knabe schreckhaft! Ahnte er etwa, dass ich ein Vampir war? Andererseits tummelten sich hier ständig seltsame Gestalten – Werwölfe und andere Freunde von Lacy, Vampire, die ihre alten Klamotten loswerden wollten …
Wenn Ryan auf Dauer hier arbeiten wollte, würde ich ihn früher oder später wohl einweihen müssen, auch auf die Gefahr hin, dass er dann womöglich schreiend die Flucht ergriff.
Mein größtes Problem bestand darin, dass ich Ryan kaum kannte. Ich hatte ihn bloß eingestellt, weil er Lacys Freund war, und selbst sie hatte ihn erst kurz zuvor kennengelernt. Bislang hatte noch nie Geld aus der Kasse gefehlt, aber der Sohn des SuitMasters-Moguls hatte es vermutlich nicht nötig, zu stehlen.
Ryan hatte sich mein Angebot inzwischen überlegt. »Danke. Ich gehe nach Hause und ziehe mich um. Ich bin mit Lacy zum Dinner verabredet. Wir treffen uns hier. Sag ihr doch, dass ich bis neun wieder zurück sein werde, wenn sie kommt.«
»Mach ich.« Dinner. Seufz. Ich verfolgte, wie er auf dem Weg nach draußen einen weiten Bogen um Valdez schlug. Dann wurde der Vorhang zurückgeschoben und eine Frau trat aus der Umkleidekabine. Ich lächelte sie an. »Sie sehen toll aus!« Wir diskutierten eine Weile die Vorzüge von langen und kurzen Röcken, bis sich die Kundin für die Mini-Variante entschied. Das konnte sie sich auch leisten, bei ihren Beinen, und Ryan bekam seine Provision.
Die nächste Stunde verging wie im Fluge. Es gab Kunden zu betreuen, und außer Miranda brachte mir auch noch eine Vampirin eine Ladung Klamotten. Ich war damit beschäftigt, die neue Ware mit Preisschildern zu versehen und in meine Inventurliste einzutragen, als Lacy hereinstürmte und schnurstracks in Richtung Hinterzimmer lief.
»Huuuhu, Liebling! Wo steckst du? … Oh, hallo, Glory!« Sie errötete.
»Ich habe deinen Liebling etwas früher heimgeschickt.« Ich sah auf die Uhr. »Er sollte gleich da sein; er wollte sich nur schnell umziehen.«
Lacy griff nach einem Strandkleid aus den Fünfzigern. »Süß. Von Miranda?«
»Ja. Ich glaube, ich motte die Sommersachen bis zum Frühjahr ein. Vorhin hab ich einen tollen Pelzmantel reingekriegt.« Ich hielt das Prachtstück hoch. »Chinchilla. Fühl mal.«
»Mmm. Herrlich weich. So einen hatte ich auch mal.« Sie lächelte verträumt. Hm. Ging es hier wirklich um einen Pelzmantel?
»Ich muss dich etwas fragen, Lacy. Wegen Ryan.«
»Du bist doch mit ihm zufrieden, oder? Ihm gefällt die Arbeit hier jedenfalls.« Lacy schnappte sich einen rosa Spitzenteddy. »Den nehm ich. Der wird ihm gefallen.«
»Kannst du seine Gedanken lesen?« Ich lehnte mich an den Tresen.
»Keine Ahnung. Nicht, wenn er die Brille aufhat. Und ich weigere mich, in seinen Gedanken rumzuschnüffeln, wenn er sie nicht trägt.« Sie driftete erneut ab ins Reich der Fantasien. »Ich kann dir gar nicht sagen, mit wie vielen Männern ich Schluss gemacht habe, weil ich ihre Gedanken gelesen hab. Kann ein echter Stimmungskiller sein. Da ist mir eine etwas mysteriöse Aura weitaus lieber.«
»Stimmt. Blade lässt mich nie seine Gedanken lesen, es sei denn, er hat mir etwas mitzuteilen.« Jetzt hatte ich garantiert denselben verträumten Gesichtsausdruck wie eben Lacy. »Egal. Ryan ist doch ein Sterblicher, oder?«
»Klar, was sonst?« Lacy hielt sich den Teddy vor den Bauch. »Zu groß.« Sie legte ihn weg, fischte stattdessen ein Exemplar in Schwarz aus dem Haufen und warf einen Blick auf das Preisschild. »Der müsste passen.«
»Erde an Lacy! Ein bisschen mehr Ernst, wenn ich bitten darf. Warum können wir Ryans Gedanken nicht lesen? Hast du irgendeine Idee?«
»Nun, erträgt ständig diese dicke Brille, außer im Bett. Normalerweise sehe ich einem Sterblichen in die Augen, um seine
Gedanken zu lesen – du weißt ja, die Fenster zur Seele.« Sie schüttelte den Kopf. »Bitte verlang nicht von mir, im Bett seine Gedanken zu lesen, Glory. Er behauptet zwar, er sei blind wie
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