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Echtzeit

Echtzeit

Titel: Echtzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Reitz
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einmal gesehen. Vor zwei Jahren, als sie Tom wieder getroffen hatte. Innerlich stöhnte sie. Na wunderbar, er hatte ein Kind mit dieser Eule bekommen, die sich an diesem Abend ziemlich aufdringlich zwischen sie gedrängt hatte. Merkte er wirklich nicht, wie sehr es sie verletzte? Oder war das seine Art, Rache zu üben? War am Ende seine liebevolle Fürsorge nur der Wegbereiter dafür gewesen, um ihr diesen unerträglichen Schmerz zufügen zu können?
    Er zog ihr das Abbild seiner kleinen Familie wieder aus der Hand und betrachtete es noch einmal voller Stolz, bevor er es wieder in seine Tasche schob.
    »Du bist echt glücklich«, stellte sie fest und verbarg ihren gebrochenen Stolz.
    »Ob du es glaubst oder nicht, der Kleine ist das Beste, was mir passieren konnte. Ich hab auch nicht gedacht, dass es so wird. Ich war echt geschockt, als ich erfahren habe, dass Katrin schwanger war.«
    Als wäre nichts gewesen, futterte er weiter seine Currywurst. Am liebsten wollte sie ihn fragen, ob er sicher war, dass das Kind wirklich von ihm war, aber ihre halbwegs gute Erziehung verbot ihr so einen taktlosen Kommentar. Mal abgesehen davon hatte der Kleine eindeutig seine Augen. Gott war ihr schlecht! Sie legte die Plastikgabel beiseite und versuchte, ihren Ärger mit einem großen Schluck Cola runterzuspülen. Nach Essen war ihr jetzt aber wirklich nicht mehr.
    »Hey, was ist los? Irgendwas stimmt doch nicht mit dir. Du warst vorhin schon so nah am Wasser gebaut und dann die Nummer mit der Straße.« Auch er legte jetzt seine Gabel ab und schenkte ihr seine volle Aufmerksamkeit. »Du hast mir noch nicht erzählt, warum du wieder in Berlin bist.« Er klang verdammt ernst.
    Fest entschlossen, sich nicht weiter von ihm vorführen zu lassen, pikste sie wieder ein paar Fritten auf. »Meinem Vater geht es nicht gut.« Damit hatte sie nicht gelogen, ihm aber auch nicht die Wahrheit über ihren momentanen Gefühlszustand verraten. Und doch riss sie der Gedanke an ihren Vater noch tiefer in dieses schwarze Loch, was sich vor ihr auftat.
    »Ist es schlimm?«
    Ihre Lunge füllte sich mit Luft, doch der Sauerstoff schien ihre Blutbahn nicht zu erreichen. Eine Träne drückte sich aus ihrem Auge und landete auf der Serviette neben ihrer Portion – viel zu offensichtlich, als dass sie schnell verstohlen mit dem Handrücken alle Beweise ihres wahren Gemütszustandes hätte vernichten können. Sie wollte sich von ihm abwenden, um sich wieder zu fangen, doch da war er schon näher gerückt und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
    »Hey.« Mit der anderen fasste er ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. »Ich kann für dich da sein, wenn du mich brauchst.« Seine Stimme wirkte beruhigend auf sie, tief und brummend, so, wie sie es liebte. Für einen Moment ließ sie es zu, dass sein Blick sie aufsaugte und sie genoss die Geborgenheit, die er ihr erneut bot.
    »Nein«, sagte sie mit erstickter Stimme, »so schlimm ist es nicht.« Sie drückte seine Hände von sich und lächelte ihr aufgesetztes Es geht mir gut-Lächeln, das sie in den letzten Wochen perfektioniert hatte.
    »Wirklich?« Er beäugte sie kritisch.
    »Ja, ja, wirklich. Alles Okay, ich bin nur müde.« Es war eine schwache Lüge, aber wenigstens gab er sich damit zufrieden und bedrängte sie nicht weiter.
    »Ich bin da«, flüsterte er und küsste ihr Haar.

 
    Kapitel 10
     
    Wieder vibrierte ihr Handy. Nicht zum ersten Mal seit Nina Tom per SMS für heute Abend abgesagt hatte. Doch es war nicht er, der permanent anrief, nein, es war der aufdringliche Kindskopf, der sich nicht mit einer lapidaren Absage zufriedengeben wollte. Jo bombardierte sie mit Anrufen und Kurznachrichten. Sie versuchte, es zu ignorieren – sie hatte andere Dinge im Kopf, als auf eine Einweihungsfeier zu gehen.
    »Wer ruft dich denn die ganze Zeit an?« Ihr Vater hob mühsam seinen Kopf. Sofort sprang sie auf und legte ihm ein weiteres Kissen unter. »Schon gut, schon gut.« Er tätschelte ihren Arm mit seiner knochigen Hand. Die Krankheit hatte ihn schwer gezeichnet: Seine Wangen waren eingefallen und seine Haut war aschgrau. Es war nichts mehr von dem wilden Rockmusiker übrig, der ihr Vater mal gewesen war. Alles was vor ihr in diesem Bett lag, war ein alter Mann, der den Kampf gegen den Krebs fast aufgegeben hat.
    »Also, Nini, wer ist es?«
    Ihr Handy vibrierte schon wieder und je fester sie es hielt, desto lauter war das Brummen, zu hören.
    »Mach dir keine Gedanken, es ist wirklich nicht wichtig.«

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