Echtzeit
wieder einmal gekommen wie »noch nie zuvor in meinem ganzen Leben«. Kein Scherz. Und danach bin ich neben ihm gelegen und habe ihn gespürt.
»Ja, was denn sonst?«, wirst du fragen, aber ich werde versuchen, dir zu erzählen, wie ich das meine. Es hat schon dabei angefangen, wie wir uns umarmt haben, nachdem wir uns ins Bett gelegt haben. Ich habe auf einmal das Gefühl gehabt, dass mein Bauch wie eine große, weiche Wolke ist, in die ein Wind hineinfährt. Ein warmer, starker, heißer Wind. Dieser Wind ist aus seinem Bauch gekommen und in diese Wolke hineingefahren und hat alles warm gemacht. Alles. Zuerst meinen Bauch, dann meine Brust, dann mein Becken, die Beine, das Gesicht, die Augen … Bis in meine Augen ist es warm und leicht hochgestiegen … dieses … dieser warme, heiße Wind und dann ist mir im Liegen schwindlig geworden. Wirklich … ich habe geglaubt, ich werde in Zeitlupe aus dem Bett fallen … so sehr hat es mich zu drehen begonnen. Und wie ich dann gekommen bin, war das nur eine Fortsetzung von diesem warmen, drehenden Schwindel. Es war keine Explosion … es war wie ein … ein noch mehr Weichwerden … ein noch mehr Aufwachen … noch mehr Versinken … noch mehr In-die-Höhe-Schweben. Ja – ich habe wirklich das Gefühl gehabt, ganz langsam und sanft in die Höhe zu schweben und uns dabei zuzusehen, wie wir da, in diesem Bett ineinander verschmolzen liegen und einfach … sind, einfach nur … da sind … »Dasein« … habe ich mir gedacht. Das ist das, was man »Dasein« nennt. Wir waren einfach nur da. Stundenlang. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass wir irgendetwas Außergewöhnliches gemacht hätten. Im Gegenteil. Ich habe das Gefühl gehabt, wir machen gar nichts.
Vor allem er … er hat sich nicht einmal bewegt. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass er sich in gewohnter Art und Weise bewegt hat. Im Gegenteil … es war, als würde sein Körper in mich hineinsinken und dort einfach nur sein … einfach nur da sein … und dann habe ich mich in dieser ewigen, endlosen Ruhe einfach nur ausgedehnt. So wie ein Vogel seine Flügel ausbreitet bis zur Endlosigkeit des Himmels und bin weich hochsteigend in die Zeitlosigkeit gefallen … und dann … dann habe ich weinen müssen … ganz seltsam … ohne Grund. Ich war nicht traurig, auch nicht irgendwie aufgedreht. Ich habe nur so sehr geliebt in diesem Augenblick. Alles … alles habe ich geliebt … alles … ihn … die Wärme in unserem Bett, seine Nähe, meinen Herzschlag. Jedes Atom, das in der Luft rund um mich geflogen ist, habe ich geliebt in diesem Augenblick. Ich war in einem Land, dessen Namen meine Seele seit ewigen Zeiten kennt, den mein Kopf aber seit ewigen Zeiten vergessen hat. Ja, so war das und ich bin da gelegen und habe lange, lange, lange Zeit geweint … einfach nur geweint, weil es so schön war, dieses Land wiedergefunden zu haben. Er ist bei mir gelegen und hat mich umarmt. Nur umarmt. Ewigkeiten lang … ohne ein Wort zu sagen. Ich habe dann auf seiner Brust gelegen und auf die Uhr geschaut, die neben dem Bett gestanden ist. Darum weiß ich, dass es drei Uhr früh war.
Wir haben dann angefangen zu reden, ganz leise, ganz ruhig. Ich habe angefangen, ihm davon zu erzählen, was ich mir mein Leben lang gewünscht habe, schon seit ich ein kleines Mädchen war. Ich habe mir gewünscht, das Land meiner ersten Träume wiederzufinden … eines Tages. Ich war ein sehr stilles Mädchen. Am Anfang. Am Anfang meines Lebens. Ich habe mich zurückgezogen. Von allem. Von den Menschen. Weil sie mir zu laut waren. Viel zu laut. Ich weiß noch, wie es war, wenn meine Eltern ihre Partys geschmissen haben. Laut. Es war nur laut. Und all diese Erwachsenen und ihr Lachen und das viele Trinken. Das war ja kein Genuss. Ich meine, so wie es ist, wenn du und ich einen Carlos Primero trinken. Zum Sonnenuntergang auf Ibiza. Das ist Genuss. Aber die Erwachsenen damals. Die haben nur getrunken, um immer lauter und lauter zu werden. Das hält so ein kleines Mädchen mit tausend Sommersprossen nicht aus. Also hab ich mich immer in mein Bett gelegt und zum Fenster hinausgeschaut. Um zu vergessen. Ich wollte vergessen, wie laut sie werden, wenn sie getrunken haben.
Und wie grob. Der Freund von meiner Mutter. Der Onkel Rudolf. Der war immer am lautesten. Und grob. Ich hab das nicht gemocht, wenn er mich angefasst hat. Beim Trinken. Da hat er mich immer auf sein Knie geholt und geschaukelt, als ob ich noch ein Baby wäre. Dabei war
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