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Echtzeit

Titel: Echtzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Barylli
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miterlebt und dann haben wir uns zu einer Aussprache getroffen, weil ihr »fair« sein wolltet. Ihr zwei Turteltäubchen. Im Kaffeehaus. In unserem Kaffeehaus! Beim Rathaus! Dort habt ihr mich hinbestellt. Um fair zu sein zu mir. Toll. Wirklich eine großherzige Geste. Fair! Ich habe immer schon geahnt, dass das Leben ein Fußballspiel ist oder besser ein Boxkampf, bei dem es fair zugehen soll laut Reglement. Egal, welche Sportart wir als Vergleich heranziehen, das Ergebnis ist, dass einer verlieren muss. Das ist das Ziel aller Fairness. Einer geht drauf. »The winner takes it all … the loser standing small.«
    Ich bin also ganz fair dort hingegangen. Und habe so getan, als wäre ich ahnungslos und offen für ein offenes Gespräch. Für wie blöd müsst ihr mich gehalten haben? Ein Gespräch unter Freunden! Ihr wart nicht mehr meine Freunde! Zumindest nicht in dem Augenblick, in dem ich euch dort sitzen gesehen habe. Auf unserem Sofa! Auf unserem Sofa, Isabell. Du bist auf unserem Sofa gesessen, als ich reingekommen bin und ihr habt versucht, keinen Körperkontakt zu haben. Wahrscheinlich aus Gründen der Pietät mir gegenüber. Wenn man schon jemanden zur Hinrichtung bittet, dann möchte man doch vermeiden, dass all zu offensichtlich wird, wie erheiternd die Szene ist. Für die Hinrichter. Na gut.
    Da sind wir also dann gesessen und haben versucht, uns den Moment so erträglich wie möglich zu gestalten. Ich habe nur einen Irish Coffee bestellt. Irgendetwas Ordentliches zu trinken habe ich schon gebraucht, aber ein doppelter Chivas Regal auf Eis wäre zu plump gewesen. Denke ich. Er hatte einen Kaffee und du einen Campari-Soda. Den er dann ausgetrunken hat. Weil er doch ein wenig nervös war. Komisch. Na gut. Du hast dann das Wort ergriffen und den zweiten und dann den dritten Campari-Soda und mir gesagt, dass man gegen Naturgewolltes nichts machen kann.
    »Ich weiß schon, dass dein Busen eine Naturgewalt ist, gegen die man nichts machen kann«, hätte ich gerne gesagt.
    Ich aber … ich habe interessiert zugehört und mitfühlend von einem zum anderen geblickt. Wie im Kino. Ich habe mich gefragt, warum ich nicht ausraste und den Tisch umtrete und ihm seinen Kaffee ins Gesicht schütte und das ganze Kaffeehaus in Schutt und Asche lege. Und gleichzeitig habe ich mich gefragt, was das bringen soll.
    Die Wahrheit ist, ich konnte gar nichts denken und fragen und tun. Ich war nur gelähmt. Ich hatte gewusst, was geschehen würde und war nur gelähmt, mitzuerleben, dass es tatsächlich geschah. Ich bin aus meinem Körper ausgetreten und habe mir und uns von oben aus zugesehen, wie wir da so gesessen sind und ruhig und konsequent über das Ende meines Lebens verhandelt haben. Dann habe ich eine Zigarette geraucht. Er hat mir sogar Feuer gegeben, weil er gesehen hat, wie sehr meine Hand zitterte.
    Und dann habe ich gesagt, dass das Leben so ist, wie es ist und dass man da nichts machen kann und dass ich euch viel Glück wünsche und dass das vielleicht mein größter Freundschaftsbeweis ist, dir meinen Mann zu schenken.
    Dabei habe ich gefasst gelächelt. Du hast mir lange in die Augen gesehen und immer wieder ernst genickt. Stefan wollte dann anfangen, von so etwas wie Verzeihung zu plappern. Das war sehr gut, weil es mir die Möglichkeit gegeben hat, endlich abzulassen.
    »Da ist nichts zu verzeihen«, habe ich lächelnd gesagt und meinen dritten Irish Coffee ausgetrunken. Alles wollte ich hören, nur nicht so ein pseudoempfindsames Verzeihungsgeplapper.
    Also bin ich aufgestanden und hatte sogar noch die Kraft zu einem Scherz. Weißt du noch? Ich habe gesagt: »Ich nehme an, ich bin eingeladen?«, dann habe ich den Kopf fragend kokett geneigt, die Augenbrauen kurz hochgezogen, das Lächeln im Abgang noch mal verstärkt und bin gegangen …
    Gut? Nicht?! Erinnerst du dich noch, Isabell? Ich erinnere mich, als ob es gestern gewesen wäre. Jeden Tag … fast jeden Tag erinnere ich mich daran. Seltsam, wie das Gehirn manche Bilder und Sätze immer wieder abspult. Wie eine Endlosschleife.
    Ja. Das war das letzte Mal, dass ich euch gesehen habe. Die zwei Menschen, die mir die liebsten waren. In meinem Leben als erwachsene Frau … Hm. Warum muss man so etwas erleben? Ich weiß es nicht … Ich verstehe es nicht, aber: »Die Seele lernt nur an dem, was der Verstand nicht begreift.«
    Schöner Satz … und was fange ich mit ihm an? Vielleicht begreife ich all dies in einem nächsten Leben. In diesem Leben habe ich keine

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