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Echtzeit

Titel: Echtzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Barylli
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ist. So einfach ist die Antwort.
    Er war einfach der Beste. In jeder Beziehung. Besser als alle vor ihm … und besser als alle möglichen Konkurrenten nach ihm. Im Gegenteil. Es sind gar keine Konkurrenten. Die Herberts und Andreasse und all die freundlich oder besonders maskulin blickenden Parkuhren. Ihre Zeit läuft ab. Sehr schnell. Ab dem Moment, wo sie mir die Hand schütteln und mich diese Berührung an seine Hand erinnert, ist ihre Zeit auch schon wieder abgelaufen. Weil er da ist … in jeder meiner Zellen.
    Okay, vielleicht muss ich nur lernen, das zu akzeptieren. Vielleicht besteht das Geheimnis darin, sich einfach noch mehr Zeit zu geben. Noch fünf bis fünfzehn Jahre. So lange, bis das Foto auf dem Gartentisch seine Farben verliert. Mal sehen. Aber du musst zugeben, dass meine Versuche der Selbsttherapie wirklich lobenswert waren.
    Ich meine, ich habe nicht nur gesoffen! Wer geht schon ins Kloster und harkt Melissenbeete, um einen Verflossenen zu vergessen? Ich kenne wenige. Na gut … aber weißt du was … ich glaube, ich habe Lust, ein wenig über die Äcker zu gehen. Zur U-Bahn … und in die Stadt, ein bisschen schoppen. Mir ist plötzlich so danach. Das ist das Erfreuliche an der Arbeitslosigkeit. Man hat ein unbegrenzt freies Zeitmanagement. Was glaubst du, wie mich die stellvertretende Vorstandsvorsitzende bei Siemens darum beneidet, dass ich jetzt einfach aufstehen kann und gehen. Über grüne Äcker, vorbei an Wellblechbaracken, um in der Stadt einkaufen zu gehen. Ich habe in dem Laden, neben dem Uhrengeschäft, einen sehr süßen, rosa Minirock gesehen … vorgestern … noch mal um fünfzig Prozent runter gesetzt. … Den hab ich mir jetzt … okay … Nein, ich schreibe jetzt nicht, dass du ja in der Zwischenzeit antworten kannst. Bis gleich.

    Hallo Isabell! Ich bin’s, Susanna … jetzt ist es schon am Abend. Gut, dass du nicht geantwortet hast … sonst hätte ich auf deine Antwort nicht spontan reagieren können. Ja, es ist schon Abend. Kurz nach 21 Uhr. Der Rock ist hübsch … wirklich … Die Stadt war sehr voll heute. Na ja, bei dem Wetter … da drängt es die Lemminge aus ihren Höhlen. Ich habe mir den Rock gekauft und mich in der Fußgängerzone auf eine Bank gesetzt und den Leuten zugesehen, wie sie so herumgehen und ihre Sachen erledigen.
    Weißt du, was mir aufgefallen ist? Keiner schaut dem anderen in die Augen. Das ist sehr lustig in dieser Stadt … und in diesem Land. Es gibt andere Länder, da wird ein wenig mehr in die Augen geschaut. In Rom zum Beispiel. Weißt du noch … das Wochenende in Rom? Das war schön, wie wir auf der »Piazza della Rotondo« gesessen sind und Averna getrunken haben. Mit Eis. Und die italienischen Romeos uns angeschmachtet haben. Das waren Zeiten.
    Ich bin in der Fußgängerzone gesessen und habe versucht, irgendeinen von den Vorbeigehenden mit meinen Blicken festzuhalten. Ist nicht gelungen. Nach zwei Stunden habe ich kurz einen Lachanfall bekommen. Da hat dann einer kurz herübergeschaut. Im Vorbeieilen. Dachte wahrscheinlich, ich bin betrunken. Ich musste sehr herzlich lachen, weil ich mir die Szene kurz mal von oben angeschaut habe. Da sitzt eine Frau stundenlang alleine auf einer Bank in der Fußgängerzone und starrt vorbeieilende Geschäftsmänner an. Sinnloserweise. Mit einer Einkaufstüte einer Billigkleiderkette auf den Knien. Einer roten Einkaufstüte, auf der dick und fett 50% aufgedruckt ist. Ob das ein sehr attraktives Bild abgibt? Ich verstehe, dass man da lieber weitereilt. Zum Geschäftstreffen mit den Freunden. Als einen Blick zu riskieren. Dabei hatte ich meinen schwarzen Lederminirock an. Der mit dem Nietenkreuz auf der rechten Pobacke und ein grünes Top. Und die schwarzen Cowboystiefel. Also ich hätte einen Blick riskiert …
    Weißt du, wie ich da so gesessen bin, habe ich Zeit gehabt, ein wenig nachzudenken. Ich meine die Zeit habe ich immer … jeden Tag …, aber ist dir schon mal aufgefallen, dass man in verschiedenen Umgebungen auf verschiedene Arten denkt?!
    Also mir geht das so. Und ich glaube, jedem Menschen. Nur denken sie zu wenig darüber nach. Wenn sie denken. Das alles ihr Denken beeinflusst. Alles. Die Umgebung. Das Wetter. Die Farben, die sie umgeben. Die Außenreize und die Lebenswerte. Nach vielen durchsoffenen Nächten spielt die Leber einfach verrückt und die Körperchemie schaltet auf Depression. Und die daraus resultierenden Gedanken sind logischerweise anders gefärbt, als wenn man klar,

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