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Echtzeit

Titel: Echtzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Barylli
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haben. Zumindest die teuren. Die handgemachten aus Burma. Die haben das schönste Lächeln. Ich hab mir einen gekauft und neben das Bett gestellt. Mit einer kleinen Rose in seinen zur Schale geformten Händen. Aus Plastik. Die Rose meine ich. Die war aus Plastik. Ich muss ehrlich zugeben, dass es mir zu umständlich war und auch zu teuer, jeden Tag eine frische Rose zu kaufen. Und ich glaube, er hat es auch so verstanden, dass ich nicht wollte, dass wegen ihm jeden Tag eine neue Blume dran glauben muss.
    Gut. Ich bin also über drei Wochen, jeden Tag bis zu drei Stunden am Boden gesessen und habe an die Wand gestarrt. Wenn man das einem Psychiater erzählt, würde er eine einstweilige Einweisung in die Psychiatrie veranlassen. Aber unter religiösen Gesichtspunkten erzeugt man mit so einem lebensfernen Wahnsinn Respekt und ergriffenes Staunen.
    Dann habe ich bemerkt, dass ich Schlafstörungen bekomme und Muskelschwund. Drei Wochen sind genug! Habe ich mir gesagt und bin wieder laufen gegangen. Da war es dann gleich wieder besser. Mit allem. Mit der Laune, mit dem Appetit, mit dem Schlaf, mit dem erwachsenen Blick auf die Gesamtlage. Vielleicht sollten sie Laufen als Religion anmelden. Dann würde es endlich die Würde erhalten, die es verdient. Gut. Aber eines hat mich mein Ausritt in die Stille mehr als eindringlich gelehrt: Ich habe einen Körper! Und so lange der noch Blut in seinen Adern spürt, will er benützt werden. Sonst rebelliert zuerst das Gehirn und in der Folge das sozio-emotionale Gesamtsystem.
    Darum also dann die Benediktiner. Ganz abgekommen von der Sehnsucht nach einem »geistigen Pfad« war ich ja noch nicht … bin ich auch jetzt noch nicht. Nur gehe ich diesen Weg seit einiger Zeit nicht mehr in der Begleitung von Beipackzetteln. Man kann es auch Regieanweisungen nennen, die allesamt vor hunderten von Jahren verfasst worden sind, in denen die menschliche Gesamtwetterlage noch eine andere war. Nicht so schnell, nicht so aufgesplittert, nicht so verwirrend vielfältig im Angebot. Wie auch immer. Ich habe mich verführen lassen zu einer Woche Exerzitien in einem Kloster.
    Benediktinerkloster, um genau zu sein. Mit Kapuze und allem Drum und Dran. Und mit Aufstehen um vier Uhr früh zum ersten Gebet. Mit Gesang. Und mit schweigend eingenommenem Frühstück. Und Vorlesung aus heiligen Schriften. Und netten Anleitungen zum Gartenbau. Oder zum Schreinern. Oder Metallstangen abzufeilen. Die zur Umzäunung des Klosterkräutergartens verwendet wurden. Alles in allem etwas belebter und abwechslungsreicher als nur an die Wand zu schauen. In der letzten Konsequenz aber vom selben Hintergedanken getragen.
    Nur ja nicht gewahr werden, dass wir ein Wesen sind, das aus Körper, Geist und Seele besteht. Nur ja nicht die Gesamtheit des Lebens pflegen. Folglich nicht nur Geist und Seele, sondern auch den Körper und seine Ansprüche. Nur ja nicht wirklich am Leben sein, sondern perfekte Verdrängungsmechanismen praktizieren, die alle nur den Sinn haben, mich vergessen zu lassen, dass ich umarmt werden will … und geküsst werden will … und küssen … bis zur Ohnmacht … bis zur Ohnmacht. Ja, bis zur Ohnmacht! Hm … Wahnsinn.
    Warum kann ich ihn nicht vergessen? Alles wäre so einfach, wenn ich nur vergessen könnte – aber weißt du, was das Dumme ist, mein Kopf kann schon manchmal vergessen. Echt … es gibt Tage, da ist er in keiner Minute in meinen Gedanken … In keiner Minute. Aber dann gibt es irgendeinen Auslöser … einen Blick von einem Taxifahrer oder ein eigenartiger Händedruck von meinem Frauenarzt und es ist wieder da. Alles. Jede Berührung … jeder Blick … jeder Atemzug … jede Nacht mit ihm … in unserem großen, weichen Bett. Weil der Körper nicht vergisst. Das ist das Problem. Der Kopf ist schnell bereit zu sagen: Na gut – das war’s … der Nächste bitte. Aber der Körper kann nicht vergessen. Die Haut … mein Atem … meine Hände.
    Da ist es eingespeichert wie in einer DVD … und es gibt kein Löschprogramm. Im Gegenteil … die Löschprogramme aktivieren und vertiefen nur den eingebrannten Film. Das ist pervers. Man könnte nur die DVD als Ganzes wegwerfen. Am besten zerbrechen und die Einzelteile einschmelzen. Dann wäre das Emotionsprogramm vernichtet. Für alle Zeit. Aber an Selbstmord denke ich auch nicht mehr so oft. Wie noch vor einiger Zeit. Weil das so endgültig ist. Kleiner Scherz.
    Ja, da sitzt man dann und hat ein Problem. Weil das Bessere der Feind des Guten

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