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Ed King

Ed King

Titel: Ed King Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Guterson
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die alte Emily vermissen. Sie fuhr mit einem Taxi nach Hause, streckte sich auf dem Sofa aus und sah Top of the Pops . Am Morgen wachte sie bei laufendem Fernseher auf.
    Ein halbwegs anständiges Leben: mehr wollte sie gar nicht. Stattdessen verkaufte sie Koks an Kinder, die gerade ihren ersten richtigen Job hatten. Sie war von Leuten umgeben, hatte aber dennoch ihre sentimentalen Momente. So konnte sie sich selbst nicht ins Gesicht sehen, wenn sie zum Beispiel Gilbert O’Sullivans Alone Again (Naturally) hörte und dabei einen Kloß im Hals verspürte. Trotzdem kamen ihr bei der kitschigen Ballade des Iren die Tränen: »To think that only yesterday, / I was cheerful, bright and gay« – Diane hätte vor Selbstmitleid vergehen mögen. Nicht anders erging es ihr, wenn sie einen Brief des Polizisten öffnete, eng und mit zittriger Hand beschrieben, in dem er ihr mitteilte, dass er zu seinem Diabetes nun auch noch entzündete Fußballen hatte. Wie herzergreifend. Wie unendlich traurig. Aber es gab auch andere Momente, in denen sie laut schreien wollte: VERPISS DICH, DU LANGEWEILER.
    Morgens war es besser. Immer auf der Suche nach heißen Aktien, verbrachte Diane viele Stunden in der Bücherei, studierte fieberhaft den Markt und überlegte angespannt, welche Verkäufe sie bei Schwab tätigen sollte. Manchmal rang sie sich zu einem Anruf durch, aber meistens sah sie nur zu, wie der Dow Jones über 1800 Punkte kletterte und das Koksgeschäft ankurbelte. Diane trat einem Fitnessclub namens Serious Fitness bei, in dem der Muskelprotz Shane, der König der Cabaña-Partys, stellvertretender Geschäftsführer war und wo auch Kelly und Ted trainierten. Vollgestellt mit wuchtigen Fitnessgeräten, von lauter Musik beschallt und mit verspiegelten Wänden, herrschte in dem Club meist eine angespannte, humorlose und typisch männliche Atmosphäre, aber im Eingangsbereich gab es eine Smoothie-Bar mit Tischen, wo Diane, frisch geduscht, neue Kunden anwerben konnte und ehe sie sich’s versah Aufträge von Leuten bekam, die noch zwielichtiger waren als ihre sonstige Kundschaft: vom einem Typ, der gelegentlich als Türsteher arbeitete, einem, der zu seiner Ehefrau Kontaktverbot hatte, einem Typ, der nach einer Schlägerei in einem Nachtclubauf Bewährung war, und einem anderen, der mit Hehlerware aller Art handelte und Koks gegen Schmuck und hochwertige Stereogeräte eintauschen wollte. Diane blieb jedoch bei Bargeld, und obwohl sie mittlerweile eine hübsche Menge davon zusammenhatte, war es schwer, von dem Geschäft wegzukommen, besonders wenn sie durch eine Glückssträhne so gut bei Kasse war, dass sie ihr Geld ängstlich unter der Matratze versteckte und wegen ihrer wachsenden Paranoia gezwungen war, sich ein Bankschließfach zuzulegen. Dort ruhte ihr Geld in hübschen, gebündelten Stapeln, genau wie zuvor in Sullivan’s Gulch, und wirkte umso unwiderstehlicher.
    Mitten in der Zeit des boomenden Kokshandels rief Club an. Es war elf Uhr abends, als er sich aus einer Telefonzelle in der Innenstadt von Seattle meldete und sagte: »Stell dir vor, ich bin ganz in der Nähe. Lust auf ein Pint, Schwesterherz?«
    Sie trafen sich im J & M Café, das eine Decke aus Pressblech und eine Mahagonibar hatte. Was Club jedoch überzeugt hatte, war der Preis für »das Zeug, das die Yankees Bier nennen«. Als sie das Café betrat, saß Club ganz allein vor einem Bierkrug, den Rücken an die Wand gelehnt und eine Hand in der Tasche seines Peacoat. Mit einer Zigarette im Mundwinkel erklärte er, er sei auf See gewesen, im Moment aber arbeitslos und auf der Suche nach ein bisschen Spaß. Mit seinen Ersparnissen sei er per Bus und Anhalter von San Diego bis Whitefish gereist, und jetzt sei er hier, um sie zu treffen, allein aus dem Grund, weil sie zur Familie gehöre. »Vielleicht liegt es bloß am Alkohol«, sagte er, »aber ich muss oft an früher denken.« Was sich gut traf, denn Diane erging es genauso.
    Sie nahm Club aus Neugier mit nach Hause, weil er Unterhaltungswert hatte und weil die Erinnerung an ihre Kindheit für sie zunehmend zu einem sentimentalen Zeitvertreib geworden war. Club war ein Pfennigfuchser, aber kein Säufer oder Gauner, und er aß regelmäßig zu Mittag Muscheln aus der Dose mit Cracker und Bier. »Der große Nachteil der Staaten«, sagte er. »Man bekommt kein vernünftiges Bier«, was für ihn Boddingtons aus Dosen hieß. Diane fand ein paar Dosen in einem Feinkostladen. Sie nahmen einen guten Vorrat mit ins

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