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Ed King

Ed King

Titel: Ed King Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Guterson
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»Nicht betrügen, wenn nur eine Person.«
    »Also haben wir kein Problem. Kein moralisches Problem. Oder?«
    »Moralisch?«, sagte Zinaida.
    »Richtig und falsch.«
    »Sie studieren Logik von Moral?«
    »Nehmen wir einmal an, ich würde Moralphilosophie studieren.«
    »Sie sind jüdischer Junge?«
    »Ich habe meine Bar-Mizwa. Und ich bin beschnitten. Falls Sie sich das fragen – ich bin beschnitten.«
    »Glauben Sie an Gott?«
    »Vielleicht.«
    Zinaida zuckte mit den Schultern. »Vielleicht«, sagte sie, »ist wie keine Antwort.«
    »Nein«, sagte Ed. »Ich glaube nicht an Gott, jedenfalls nicht an den Typ mit dem brennenden Dornbusch oder auf dem Berg Sinai oder an einen, der die Regeln aufstellt. Sie sind verdammt hartnäckig«, fügte er hinzu.
    »Wenn kein Gott«, sagte Zinaida, »dann auch kein Moral?«
    »Jetzt wird es aber tiefsinnig.«
    »Kein Gott«, sagte Zinaida. »Alle betrügen.«
    »Womit wir wieder beim Anfang wären. Meine Frage: Wer hat wen betrogen? Sie, Ehemann Nummer eins oder Ehemann Nummer zwei?«
    Zinaida drehte eine Hand nach hinten und legte sie mit verblüffender Gelenkigkeit auf die Küchenplatte. Die Innenseite ihres Ellbogens mit ihren winzigen Falten und blauen Adern starrte Ed an. »Wie alt?«, fragte sie.
    »Keine gute Frage.«
    »Wie alt?«
    »Alt genug.«
    »Sie sind Kind.«
    »Wenn Sie das sagen.«
    Zinaida zog wie in einer Choreographie eine aufsteigende Linie in die Luft. »Nach oben«, sagte sie. »Zuerst immer nach oben. Später nicht mehr.« Sie ließ ihre Hand abrupt sinken. »Ist anders.«
    »Also, Zinaida. Wer hat wen betrogen?«
    Zinaida schob die Tortenschachtel energisch neben die Brotdose. Bevor sie noch irgendetwas tun oder sagen konnte, zog Ed sie an sich und küsste sie hastig auf den Mund. »Sie küssen alte Frau«, sagte sie und schlug ihm ins Gesicht. »He«, sagte Ed. »Das tat weh.«
    »Weh«, sagte Zinaida. »Sie kennen nicht Weh! Ihr ganzes Leben kein Schmerz, weil Amerika.« Zinaida hob die Hand, als wollte sie ihn noch einmal schlagen. »Sie sind Junge «, sagte sie. »Junge, der lieben möchte sein Mutter. Ich nicht Mutter sein wollen«, sagte sie. »Ist falsch, zu lieben seine matj .«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, sagte Ed. »Aber ich habe kein seltsames psychisches Problem, wenn Sie das meinen. Ist es das?«
    »Da«, sagte Zinaida, weil sie offenbar den Ausdruck »psychisches Problem« nicht verstand. Aber was änderte das? Sie wollte nicht mit ihm schlafen. »Also gut, Zinaida«, sagte Ed, »Sie haben gewonnen. Aber schlagen Sie mich nicht noch einmal.«
    Pop wurde schließlich zu einem Wanderer ohne Kompass und gehörte in ein Haus, dessen Eingangstür er nicht eigenständig öffnen konnte. Dan und Alice kamen und halfen bei seinem Exodus ins L’ChaimAltenheim. Sie gingen mit Ed und Pop in schicke Restaurants essen, aber nach einer Woche waren sie wieder verschwunden, nachdem sie Ed immer wieder eingeschärft hatten, Pop regelmäßig zu besuchen. Der Besuch im L’Chaim-Heim reizte Ed wenig, aber er ging trotzdem hin, vor allem weil Alice ihm am Telefon ständig damit in den Ohren lag. Nachdem er einen Mann an der Pforte nach Pop gefragt hatte, wurde Ed in den Speisesaal geschickt, wo die Leute an den Tischen ihm so vorkamen, als wären sie schon tot. Vergessene Industriekapitäne der BayArea und altgediente Samariterinnen mit blau gefärbten Haaren saßen vor Tellern mit Hühnerbrust, die von Inuit-Frauen oder Frauen aus Trinidad aufgetragen wurden. Die alten, abgeschobenen Juden und das multikulturelle Personal empfand Ed als deprimierend. Ein Mann mit spärlichen grauen Barthaaren, die unschicklich zwischen faltigen Hautlappen sprossen, versperrte ihm den Weg, dann eine Frau mit reichlich Rouge im Gesicht, einer Perücke, Modeschmuck und anderem billigen Flitter, die aussah, als hätte der Leichenbeschauer sie zurechtgemacht. Angewidert und halb zurückschaudernd zwängte Ed sich an ihnen vorbei. Der Geruch von Urin vermischte sich mit den Essensgerüchen. Wie, dachte er, konnten diese Gespenster sich überhaupt aufs Essen freuen? In dem Moment entdeckte er Pop, legte ihm zur Begrüßung die Hand auf die Schulter, setzte sich und begann notgedrungen ein Gespräch mit den Tischnachbarn. Begleitet vom gedämpften Klimpern des Bestecks und der Becher mit Eistee, erfuhr Ed, dass die Frau rechts von ihm frisch verwitwet war und erst kürzlich aus Skokie ins Altenheim gezogen war, weil ihr Sohn in der Nähe in der Verwaltung eines

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