Ed King
Wangenknochen zusammennahm. Und es machte noch mehr Sinn, wenn man ihre Einstellung betrachtete, nämlich dass sie sich nicht als amerikanische Bedienstete sah, dass diese unwürdige Existenz nicht ihr eigentliches Leben und die niedere Plackerei nur vorübergehend war. Es hatte ein anderes Leben gegeben, als Tänzerin in Taschkent, und dies machte Zinaida plötzlich begehrenswert für Ed, denn es war mit der Vorstellung von künstlerischem Streben in einem fernen Land verbunden, von Tagen und Nächten mit klassischer Musik, Choreographie, Inszenierung auf der Bühne und nicht zuletzt mit dem Bild von elegantem, fließendem Sex mit anderen Tänzern. Ed sah beim Fahren auf Zinaidas Hände, die lang, blass, knochig und sehnig waren und die trotz mehrerer geschwollener, arthritischer Gelenke noch etwas von ihrer früheren Grazie bewahrt hatten.Aus reiner Verlegenheit sagte er: »Die Jüdische Kinder- und Familienfürsorge.«
»Ich weiß.«
»Wie haben sie Sie gefunden?«
»Ja«, sagte Zinaida.
»Wie lange sind Sie schon in San Jose?«
»Zwei Monat.«
»Wie sind Sie hergekommen?«
»Was ist hergekommen?«
Ed überlegte einen Moment und sagte: »Hier warum?«
»Hier eingewandert«, sagte Zinaida.
Wieder dachte Ed über ihre Antwort nach. Sie fuhren einen breiten, palmenbestandenen Boulevard entlang, und Ed hatte das Gefühl, Zinaida bewunderte die großen Häuser – oder aber sie betrachtete sie bloß, um nicht ihn anschauen zu müssen. »Warum eingewandert?«, fragte er.
Zinaida sah ihn unsicher und fragend an, vielleicht weil dies eine besonders dumme Frage war. »Sowjetunion«, sagte sie nur, als wäre damit alles gesagt, und blickte dann wieder aus dem Fenster.
Ed gab es auf. Schweigend fuhren sie weiter. Jetzt ärgerte es ihn, Zinaida im Auto zu haben, aber es war durchaus möglich, dass sie aufgrund kultureller Differenzen nicht verstand, was von ihr erwartet wurde, dass man sich nämlich in Amerika aus Höflichkeit mit dem Fahrer unterhielt, wenn man mitgenommen wurde. Vielleicht war Zinaida eine orthodoxe Jüdin, die Distanz zu Männern wahrte, oder sie war mit einem Mann verheiratet, der sie verprügelte, oder schüchtern, oder sie hatte durch ihre Einwanderung die Sprache verloren, oder sie hielt ihn für einen dummen amerikanischen Jungen, vielleicht waren es auch mehrere dieser Dinge gleichzeitig, es mochte so viele andere Gründe als einfach Unhöflichkeit geben. Plötzlich sagte sie unvermittelt: »Universität?«
»Wie bitte?«
»Sie Student?«
»Ja.«
»Studieren welches … Feld?«
»Feld, das ist gut. Genau das richtige Wort. Ich studiere Mathematik und Computerwissenschaften. Im Moment lerne ich, mit Computern umzugehen.«
»Gut«, sagte Zinaida. »Für Zukunft.«
»Auch jetzt schon gut«, sagte Ed, aber er hatte den Eindruck, der Satz sei unverständlich, und fügte hinzu: »Aber Sie haben recht, es ist gut für die Zukunft.«
Zinaida hob ihren Zeigefinger, als wollte sie sagen: »Sehr gut, dass du mit meiner pragmatischen, postkommunistischen Weisheit übereinstimmst.« Dann sah sie wieder aus dem Fenster.
Dennoch fühlte Ed sich befreit. Sie hatte ihm etwas angeboten. Während sie über den Expressway fuhren, erprobte er weiter sein Pidginenglisch und erfuhr einiges über Zinaidas biographischen Hintergrund: dass sie mit ihrer Schwester zusammenlebte, die zwei Kinder hatte, einen Jungen und ein Mädchen, acht und elf Jahre alt, und dass sie zu viert in einem Apartment mit zwei Schlafzimmern lebten, weil der Ehemann, der zweite Ehemann ihrer Schwester, ein Ukrainer, den ihre Schwester während ihrer Zeit in San Francisco kennengelernt hatte, aus irgendeinem zweifelhaften Grund nach Houston gegangen war. Jedenfalls entnahm Ed ihren Ausdrücken und abgehackten Sätzen, dass der Ehemann treulos, niederträchtig und ein Herumtreiber war und dass er und ihre Schwester in Trennung lebten, die nach Zinaidas Meinung zu einer Scheidung führen würde.
Dann standen sie vor der Tür ihres bunkerähnlichen Wohnblocks, wo sie mit ihrer Schwester, ihrer Nichte und ihrem Neffen lebte und in dem es in seiner Vorstellung nach Kohl roch. »Viele Dank«, sagte sie, und Ed antwortete: »Es war mir ein Vergnügen. Schön, Sie etwas näher kennenzulernen.« Zinaida reagierte abwehrend, zog ihr Kopftuch etwas tiefer in den Nacken, um einzelne Haarsträhnen darunter zu verstecken, stieg aus und ging, ohne sich noch einmal umzusehen.
Von da an ging sie ihm nicht mehr aus dem Kopf. Er sah ihre
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