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Ed King

Ed King

Titel: Ed King Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Guterson
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knochigen Hände, die dunklen Haarsträhnen und ihre vorstehenden Wangenknochen, und er hörte in seinem Kopf ihren harten, strengen Akzent. In seinem Zimmer im Studentenwohnheim phantasierte er an diesem Abend von der hochgewachsenen, gut vierzigjährigen Exballerina, von der Usbekin mit dem Timbre eines Bond-Girls und der feinen Furche auf dem Rücken ihrer bebenden Nase, von jemandem mit einer Vergangenheit, in der es zweifellos Momente voller Gefahr, Rettungen in letzter Sekunde, Affären und Neuanfänge gegeben hatte, von einer Frau, die trotz ihrer Schwierigkeiten mit dem Sprachkurs in Eds Augen eine unerschütterliche Intuition und vielleicht sogar ein gefühlvolles Wesen zu besitzen schien. Ihr Alter und ihre Fremdheit gaben Zinaida etwas Unwirkliches, und gerade das machte sie zu einer ausgezeichneten Projektionsfläche für seine Phantasien.
    Schließlich wagte er sich vor. Es war an Pops Geburtstag. Ed erschien mit einer Torte aus dem Supermarkt, einer Packung Eiscreme, einer Schachtel Kerzen und einer Glückwunschkarte, auf der stand: »Du hast Geburtstag«, und wenn man sie aufschlug: »Falls du es vergessen hast!« Zinaida hatte auf Pops Wunsch hin panierte Kalbskoteletts, Dosenmais, Brötchen und einen Eisbergsalat mit Tomatenschnitzen und Ranch-Dressing aus der Flasche gemacht. Als er am Tisch saß, sagte Pop: »Zinaida, Ihre Koteletts sehen großartig aus, aber wo bleibt mein Geburtstagsgeschenk?«
    »Sie sind ein Spaßvogel«, antwortete Zinaida. »Haha, sehr gut. Also, morgen ich bringe Geschenk.«
    »Ach«, sagte Pop, »Sie haben es also vergessen. Na ja, schon gut. Wir wollen keinen Staatsakt daraus machen. Ich bin ein nachsichtiger Mensch. Aber jetzt, Zinaida, wünsche ich mir zum Geburtstag, dass Sie sich an den Tisch setzen und eins von diesen wunderbaren Koteletts essen !«
    »Sie müssen«, sagte Ed. »Es ist Pops Geburtstag, Zinaida.« Er zuckte mit den Schultern, stand auf und holte einen Teller, Besteck, eine Serviette, ein Glas, eine Flasche Michelob und eine Platzdecke.
    Anschließend musste Zinaida auch die Torte probieren. Ed brachte ihr den Text von Happy Birthday bei. Dann war es Zeit für 60 Minutes . Pop freute sich immer auf den letzten Teil der Show, wenn Andy Rooney satirisch die Tücken des Alltags aufs Korn nahm, und zwar »auf die irische, nicht die jüdische Tour«, wie Pop es formulierte. Doch dann schlief Pop gleich zu Anfang der Sendung ein, und Ed beschloss, die Chance zu nutzen und zu Zinaida in die Küche zu gehen. »Sie sind fünfTage die Woche mit ihm zusammen«, sagte er zu ihr. »Sehen Sie etwas, das ich nicht sehe?«
    Zinaida hantierte mit den Seitenklappen der Tortenschachtel herum und versuchte sie in die schmalen Führungsschlitze zu schieben. Die Aufgabe schien sie anzustrengen, und sie hatte die Zunge zwischen den Zähnen. »Er vergessen alles«, sagte sie, ohne Ed anzusehen. »Wo ist Brille? Er nicht wissen, wo Brille ist. Ich mit ihm gehen zu Lucky Store, denn er nicht wissen, wo Lucky Store, oder nachher nicht finden zurück zu Apartment. Wenn ich in Küche, er sagen: ›Wer sind Sie?‹ Ich denke, ja, er viel vergessen.«
    »Wie geht es Ihrer Schwester?«
    »Soll nicht sprechen mit ihre Mann am Telefon, ist Fehler.«
    »Und Ihre Nichte und Ihr Neffe?«
    »Vater nicht gut.«
    »Diese Tortenschachteln sind eine Fehlkonstruktion.«
    »Sehr guter Kuchen.«
    »Nehmen Sie etwas mit nach Hause.«
    »Kinder verwöhnt. Videospiel.«
    »Na«, sagte Ed, »dann sollten sie Kuchen essen.« Er glaubte nicht, dass sie die Anspielung verstand, aber zu seiner Verwunderung sagte sie: »Marie Antoinette.«
    »Sagt man jedenfalls.«
    »Ich studiert Geschichte, Universität Taschkent.«
    »Wie alt sind Sie?«
    »Kein gute Frage.«
    »Waren Sie schon einmal verheiratet?«
    »Auch kein gute Frage.«
    »Was ist aus Ihrer Ehe geworden?«
    »Erster Mann, wir jung, nicht verstehen von heiraten. Zweiter Mann älter, Choreograph.«
    »Und?«
    »Sie nichts angehen. Ich gelernt in Sprachkurs. Nichts angehen.« Sie schwenkte drohend und zugleich im Scherz ihren Zeigefinger.
    »Wer hat wen betrogen?«
    »Alle betrügen.«
    »Alle? Meinen Sie?«
    »Nicht orthodoxe Leute.«
    »Sind Sie orthodox?«
    »Kein schöne Frage.« Zuletzt hatte sie die Tortenschachtel endlich verschlossen. »Nicht orthodox«, fügte sie hinzu.
    »Rein logisch betrachtet betrügen Sie auch«, sagte Ed. »Jedenfalls nach dem von Ihnen aufgestellten Grundsatz.«
    »Ich etwas verstehen von Logik«, sagte Zinaida.

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