Ed King
während der Junge und das Mädchen am Wasser entlangliefen und dabei Kurven beschrieben. Zwischendurch sprang der Junge immer wieder in die Brandung. Zuletzt stürzte er und stolperte pitschnass ans Ufer. Diane musste erneut an ihren Sohn denken, der jetzt neun wäre. Neun Jahre und einen Monat. Für sie war es ihr Junge, der da draußen am Wasser stand, sein Hemd auswrang und verdutzt dreinschaute.
3
Die Abenteuer von Baby Doe
Die Leute in Eastmoreland, die Dianes Baby auf ihrer Veranda gefunden hatten, waren die Crofters, Arnie und Stacy. Vor ihrer Haustür war ein seltsames Geräusch zu hören gewesen. Stacy hatte im ersten Moment an zwei sich streitende Katzen gedacht. Als Arnie weder seine Frau noch das Geräusch länger ignorieren konnte, hatte er den Ton des Fernsehers heruntergedreht, wo gerade The Nurses lief. Nun stand er mit den Händen in den Hüften neben dem Fernseher und sagte: »Psst!«, ein wenig gereizt, weil Stacy laut in ein Taschentuch schniefte. »Entschuldigung«, flüsterte sie. »Ruhe!«, erwiderte Arnie. Sie sahen einander mit giftigen Blicken an. »Irgendwas geht da vor«, bemerkte Arnie.
Arnie brauchte nur vor die Tür zu gehen und nachzuschauen, aber er zögerte, in der Hoffnung, das Geräusch würde von allein aufhören und er könne sich wieder der Fernsehserie widmen. Zuletzt war Stacy schneller als er. Sie riss die Tür auf, schnappte nach Luft und sagte: »Arn!« Als er an die Tür kam, hatte sie ein schreiendes Baby im Arm und redete ihm leise zu, hielt es wärmend an ihre Brust gedrückt, wiegte es und klopfte ihm sanft auf den Rücken. »Armes Baby«, sagte sie. »Es ist ein Baby .«
Arnie erwiderte: »Warte einen Moment.«
Er stand in der Tür und blickte prüfend nach links und rechts. Von dem Geräusch eines sich schließenden Fensters angespornt, rannte er auf den Bürgersteig und spähte die Straße entlang, in der Hoffnung, den Täter vielleicht noch zu erwischen. Nichts. Nun gut. Er hatte es versucht. Nicht die leiseste Spur eines Verdächtigen. Niemand, der sichzu Fuß entfernte oder mit einem Wagen davonfuhr. Die Straße lag ruhig und friedlich da, wie immer, wenn es dunkel geworden war.
Arnie ging ins Haus, wählte die Nummer der Polizei und sagte: »Äh, hier ist gerade etwas sehr Ungewöhnliches passiert. Jemand hat ein Baby auf unserer Veranda abgestellt.« Dann saßen er und Stacy auf dem Sofa und hielten es abwechselnd im Arm. Aus den Windeln stieg ein scharfer Geruch auf, den Arnie mit achtundfünfzig Jahren noch von seinen eigenen Kindern kannte, und er übergab den Säugling an Stacy. Er ging sich die Hände waschen, und als er zurückkam, redete Stacy beruhigend auf ihn ein und sagte immer wieder: »Du armes, armes Ding«, und: »Du armes, kleines Baby.« Sie fragte: »Geht’s dir wieder besser?«, und ergänzte entschuldigend: »Ich würde dir ja eine frische Windel machen, wenn ich eine hätte, aber wir haben keine mehr im Haus, Liebes.«
»Das ist unglaublich«, sagte Arnie.
»Sieh nur die kleine blaue Decke«, antwortete Stacy. »Es ist ein Junge.«
Sie beugten sich vor, um sich gemeinsam an dem kleinen Findelkind zu erfreuen. Ihre eigenen Kinder waren beide verheiratet, aber sie hatten noch keine Enkelkinder. Stacy sagte: »Was für ein entzückender kleiner Kerl.«
»Das stimmt«, sagte Arnie, »aber welches Baby ist das nicht? Hat es je ein Baby gegeben, in das du dich nicht verguckt hast?«
»Ein richtiger Sonnenschein«, sagte Stacy. »Wer macht denn so etwas?« Sie streichelte den Säugling am Kinn. Sie roch an seinen Haaren.
Auch Arnie streichelte ihn am Kinn, und ihre Hände wechselten sich ab. »Unglaublich«, erwiderte er. »Das muss jemand sein, der nicht richtig im Kopf ist. Das eigene Kind.«
Stacy schob ihren Zeigefinger in seine kleine Faust. »Wow«, sagte sie. »Der kleine Bursche hat schon richtig Kraft.«
»Er sieht auch kräftig aus. Sieh nur, wie breit sein Hals ist.«
»Eine ganz und gar traurige Geschichte«, sagte Stacy.
Sie saßen da, stellten einander Fragen und bewunderten den Jungen, bis zwei junge Polizisten eintrafen. Nach einer Reihe von Funkrufen und Telefongesprächen nahm einer den Säugling aus Stacys Armund legte ihn zurück in sein Körbchen, wo er sofort zu weinen anfing. Stacy wollte den beiden jungen Männern erklären, was der Kleine benötigte, aber die ganze Geschichte war inzwischen so traurig und so real, dass sie nur stumm auf der Veranda stehen und zuschauen konnte, wie einer der Polizisten
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