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Ed King

Ed King

Titel: Ed King Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Guterson
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steckte. Dann sah sie, dass ein dunkler Tropfen Blut auf die neue Babydecke gefallen war. Es schien ihr ein böses Omen zu sein, wie sie auch ihrem Mann Dan sagte. »Du glaubst nicht an Omen«, erwiderte er.
    Die Kings waren bislang kinderlos geblieben. Dan hatte Medizin studiert, war Assistenzarzt in einem Krankenhaus gewesen, hatte seine Prüfung als Allgemeinmediziner abgelegt und war eine Zeit lang als UN-Arzt in Madagaskar gewesen, bevor er eine Praxis in einem Vorort von Seattle eröffnet hatte, während Alice einen Abschluss in Politikwissenschaften hatte und bei der Stadtverwaltung arbeitete. Mit Anfang dreißig hatten sie versucht, Kinder zu bekommen, und als es nicht klappen wollte, ernsthafte Anstrengungen unternommen. Sie hielten sich streng an die Anweisungen eines Spezialisten, doch es half alles nichts, weil sich herausstellte, dass Dans Spermiendichte so gering war, dass die Chancen nahezu bei null lagen. Die Nachricht war niederschmetternd für ihn gewesen. Alice und dem Spezialisten hatte er gesagt, verständlicherweise höre niemand es gerne, eine evolutionäre Fehlentwicklung zu sein. Die Unfähigkeit, Alice zu schwängern, hatte auch sein Sexualleben beeinträchtigt. Immer wenn er mit seiner Frau schlafen wollte, musste er an die Trägheit seiner Spermien denken, an all diese müden, unmotivierten Verlierer, die sich in dunkle Sackgassen verirrten, sofort schlappmachten und sich an Ort und Stelle auflösten, gleichgültig gegenüber ihrer Bestimmung. Auf eine deprimierende und heimtückische Weise identifizierte er sich mit ihrem Versagen. »Das bin ich«, dachte er. »Das ist eine Metapher für mich.« Mit diesen Gedanken im Kopf ging gar nichts mehr.
    Dann tauchte ein Hoffnungsschimmer auf. Obwohl Dan und Alice nur dem Namen nach Juden waren und nicht in die Synagoge gingen, suchten sie einen neuen, jungen Rabbi auf, den Freunde ihnen empfohlen hatten. Er hieß Nathan Weisfeld und empfing sie in Hemdsärmeln in seinem Büro, ein Mann ohne Bart und etwa in ihrem Alter. Der Rabbi war neu in der Temple-Beth-David-Gemeinde und ein Anhänger John Kennedys, obwohl Kennedy Antisemit und Nixon vielleicht besser für Israel war. John Kennedy hatte eine hübsche Frau und Kinder, John Kennedy war im Zweiten Weltkrieg verwundet worden, John Kennedy stammte aus einer Einwandererfamilie, John Kennedy war liberal. Und was das Thema Adoption anging: »Wer das Kind eines anderen großzieht, wird so betrachtet, als hätte er es selbst in die Welt gebracht.« Es war ein Akt von chesed, es leistete einen Beitrag und unterstützte auf wunderbare Weise den Auftrag, die Welt zu verbessern, »den wir Juden tikkun nennen«. Weisfeld zuckte mit den Schultern. »Selbstverständlich sollten Sie sich zu einer Adoption entschließen«, sagte er. »Nichts im jüdischen Gesetz spricht dagegen, nirgends gibt es diesbezüglich eine Ermahnung.« Er zuckte noch einmal mit den Schultern. »Ich kann Ihnen nur masel tow wünschen. Das ist eine schöne Nachricht. Gehen Sie und errichten Sie gemeinsam ein jüdisches Heim.«
    Passenderweise stand der jährliche Besuch zum Passahfest bei Dans Eltern bevor. Sie lebten in einer Wohnung mit Klimaanlage in Pasadena, aber ursprünglich stammten sie aus Pinsk. »Gab es in Pinsk Juden, die ein Kind adoptiert hatten, Beryl?«, fragte Dans Vater, Al, als Dan mit der Nachricht herausrückte, was er und Alice vorhatten. Dans Mutter antwortete, in Pinsk habe es so etwas nicht gegeben, Juden machten so etwas nicht. »Sie hat recht«, sagte sein Vater. »Deine Mutter hat recht, Daniel.« – »Ein Adoptivkind!«, sagte seine Mutter. »Haben deine Brüder oder deine Schwestern jemals adoptiert? Nein, haben sie nicht. Sie alle haben ihre eigenen Kinder, unsere Enkel, sieben an der Zahl, und nicht eines davon ist adoptiert .«
    »Das ist meine Familie«, sagte Dan zu Alice, kaum dass sie aus der Tür waren. »Frommer als der Rabbi.«
    Als Nächstes fuhren sie nach San Jose zu Alice’ Vater. Unterwegs hielt Dan mehrmals an Telefonzellen, um sich nach seinen Patienten zu erkundigen. Alice las einen Adoptionsratgeber. An einem Rastplatz aßen sie Sandwiches und Kartoffelchips und redeten über die neuen Möbel für ihre Wohnzimmer. Alice wollte die alte Einrichtung dem jüdischen Familienwerk spenden. Sie redeten über ihre verbohrten Eltern, die einen zur Verzweiflung bringen konnten, über die Eheprobleme von Alice’ Schwester Bernice, die Kosten für den Beitritt zu einem privaten Schwimmverein, in

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