Ed King
dem Alice’ beste Freundin und ihr Mann Mitglieder waren, und mehr als alles andere über Adoption.
In San Jose erklärte Alice’ Vater, Dave Levine, der in Tennisshorts auf der Veranda im Liegestuhl saß, ein gewisser Marty Ashkanazi sei adoptiert worden, nachdem seine Familie durch den Holocaust »ausgelöscht« worden sei. Dieser Marty sei »heute ein durch und durch anständiger Kerl«, was nach seinem Dafürhalten eins zeige: Wenn Marty sich als Adoptivkind so prächtig entwickelt habe, wer könne da etwas gegen Adoption einwenden? »Nur ein Dummkopf könnte eindeutig dagegen oder dafür sein«, sagte Pop. »Adoption hin oder her, also ich lasse mich gerne einen Dummkopf schimpfen, aber ich will euch eins sagen: Eine Adoption ist immer ein Risiko.«
»Das stimmt«, antwortete Dan. »Aber bedeutet leibliche Kinder zu haben nicht immer auch ein Risiko? So oder so, man tut sein Bestes, aber man kann nie wissen, was daraus wird.«
»Nimm zum Beispiel Alice«, sagte Alices Vater zustimmend. »Sieh, was aus meiner kleinen Alice geworden ist. Da heiratet sie einen Mann, der zugegebenermaßen in Ordnung ist, nur schleppt er sie weit fort, und dann vergisst sie ihr Zuhause in San Jose und ich sehe sie zweimal im Jahr, vielleicht auch dreimal, wenn sie tsuris hat.«
»Wir kommen öfter, Pop, also red uns kein schlechtes Gewissen ein.«
»Viermal.«
Sie fuhren mit ihm quer durch die Stadt zu seiner kranken Schwester, die in einem Heim im Mission District hinter vergitterten Fenstern und doppelt gesicherten Türen lebte. »Eine Sache noch«, sagte Pop, als Dan ihm zum dritten Mal erklärte, dass sie los müssten. Also fuhren sie auf dem Rückweg am Friedhof von Colma vorbei. »Hier werde ich mit Gottes Segen meine letzte Ruhe finden«, sagte Pop, »an der Seite deiner Mutter. Wenn es so weit ist. Was noch eine gute Weile hin sein kann. Oder auch in ein paar Minuten, im Auto mit diesem meschugenah hier.« Er zeigte auf Dan, dann rang er die Hände. »Also gut, dies ist mein letztes Wort«, sagte er. »Ich sage nur, macht, was ihr wollt. Für mich ist ein adoptiertes Kind ähnlich wie ein Jude, versteht ihr? Ohneeigenes Land, weil er zwei Länder hat, sein Heimatland und das Gelobte Land. ›Nächstes Jahr in Jerusalem‹ – vielleicht sagt ein Adoptivkind sich das Gleiche, vielleicht denkt es, dass irgendetwas fehlt, dass immer irgendetwas nicht stimmt oder nicht ganz passt und dass es eine unerklärliche Sehnsucht empfindet. Vielleicht sind seine Eltern Dr. Daniel und Alice, ganz und gar nette Menschen, liebevolle Menschen, Menschen, denen das Wohl der ganzen Welt am Herzen liegt, aufgeschlossene Menschen, die sich um ihre Mitmenschen kümmern, was eine ganz wunderbare Sache ist, ich stelle das gar nicht in Abrede. Und dennoch ist da dieses Adoptivkind, das sich immer fragt, wer es ist, das niemals inneren Frieden findet und von Rastlosigkeit getrieben wird, eine Art Geschichtsforscher oder, wie heißt das Wort noch, Genealoge, niemals zufrieden, immer Fragen stellend, vielleicht sogar rebellisch gegen seine eigenen liebenden Eltern. Warum? Weil sie nicht seine Eltern sind und es dies weiß – und weil es wütend auf seine leiblichen Eltern ist.«
»Wir würden es ihm nicht sagen«, erwiderte Dan. »Es wüsste nicht, dass es adoptiert wurde.«
»Niemand würde es verraten«, fügte Alice hinzu. »Es müsste ein Geheimnis bleiben.«
»Oj«, sagte Pop.
Zuletzt aber nahm er seine Tochter in den Arm und strich ihr übers Haar, das honigblond und dicht war und ihr offen bis auf die Schultern fiel. »Alice«, sagte er, »wenn du und Dr. Daniel ein Kind adoptiert, dann seid euch über die möglichen Konsequenzen bitte voll und ganz im Klaren, versprecht ihr mir das? Seid euch bewusst, dass ihr nicht alles wissen könnt, vielleicht habt ihr Glück, vielleicht auch nicht, wer weiß?«
»Das tun wir«, sagte Dan. »Es kann schiefgehen. Wir wissen um die Risiken einer Adoption.«
Pop schwenkte drohend den Zeigefinger über Alice’ Schulter. »Genau das meine ich«, sagte er. »Eben davor habe ich Angst. Hört, was Dr. Daniel sagt. Er glaubt, das passiere nur anderen Leuten. Er glaubt nicht, dass es ihm selbst passieren könnte. Wie könnte es auch dem wundervollen Dr. Daniel passieren, der eine so wundervolle Frau hat?«
»Du hast recht«, sagte Alice. »Daniel denkt so.«
Sie setzten Pop an seinem Haus ab und machten sich endlich erleichtert auf den Heimweg. Auf den ersten fünfzig schnellen, therapeutischen
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