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Ed King

Ed King

Titel: Ed King Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Guterson
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bei ihm. Sie beschwerte sich nie, tat aber auch nicht so, als sei es das Größte in ihrem Leben, nicht unbedingt ein unumgängliches Übel, aber auch nicht etwas, auf das sie sich freute.
    Es war nicht schwer, Jim dahin zu bringen, ihr einen Heiratsantrag zu machen. Wenn er so gerne der Held sein wollte, der die Dinge auf dem Golfplatz und in Vietnam in Ordnung brachte, so war Diane diesnur recht, denn sie konnte die sorgenvolle Hofdame spielen, ohne darüber nachzudenken, die Prinzessin im langen Seidenkleid, die den bestickten Saum beim Treppensteigen mit der Hand anhob, das liebreizende Mädchen mit einem Spitzhut und einem daran befestigten Schleier, das obendrein eine ausgezeichnete Reiterin war. Sie konnte alles das sein, was er von ihr erwartete: munter, klug, eine Spur britisch, spritzig, überschwänglich, charmant und sexy (allerdings ohne vulgär zu wirken und ohne dunkle, gefährliche Abgründe). Sie gab ihm alles, was er brauchte, und nach einem Jahr, auf den Tag genau, kniete er vor ihr nieder, zog einen Diamantring aus der Tasche, stellte die entscheidende Frage, auf die sie sofort mit Ja antwortete, und fragte sie zuletzt, an wen er sich wegen der Erlaubnis zur Hochzeit wenden solle, nachdem Diane ihm erklärt hatte, sie hätte beide Eltern mit sieben Jahren durch einen Autounfall verloren. Diane kicherte nur, küsste ihn auf die Wange, glitt mit einer Hand in seine Hose und sagte: »Ich bin die einzige Erlaubnis, die du jemals brauchst, Jim.«
    Am Morgen nach dem Heiratsantrag wimmelte sie nacheinander die Frauen der Familie Long am Telefon ab, die mit ihr über die Hochzeit sprechen wollten. Schon bald einigte man sich auf eine kirchliche Trauung mit anschließender Feier im Riverside Club, deren konkrete Planung Diane in den kommenden Monaten getrost Jims Familie überlassen konnte. Als der große Tag kam, fand sich Diane bis zum Kinn in jungfräuliches Weiß verpackt und mit sämtlichen Long-Frauen im Schlepptau: Jims Schwestern, seine drei Schwägerinnen und eine Nichte, die Blumen streute, während die große republikanische Versammlung in den Kirchenbänken darüber lächelte, wie süß sie aussah. Vor dem Altar gab Diane sich alle Mühe, entschlossen zu wirken, als sie Jim einen goldenen Ring über den dicken Ringfinger streifte. Sein Brautkuss war sanft, nicht besitzergreifend; freundschaftlich, nicht sinnlich. Auf dem Gang aus der Kirche als Mann und Frau nickte er den Leuten zu, winkte und schüttelte begeistert Hände. Als sie einen kurzen Augenblick allein in einem Vorraum waren, rief er ungläubig: »Mein Gott, wir haben es getan!«
    Es war Mai 1972. In einem brandneuen Olds 442 Cabriolet fuhren Mr und Mrs Long zu einem kurzen Hochzeitsausflug nach CannonBeach. Die eigentliche dreiwöchige Hochzeitsreise durch Italien musste bis Juni warten, da Jim sich vorher nicht in der Firma freimachen konnte. An diesem Abend, in ihrer geschmackvoll eingerichteten Hochzeitssuite, die noch ungeöffnete Flasche Champagner und zwei Gläser auf dem Tisch, Diane bekleidet mit den roten Dessous, die Jim ihr geschenkt hatte, gingen sie über die bloß handwerklichen Verrichtungen hinaus. Jim war nicht schlecht – ein wenig uninspiriert, ein wenig übereilt –, aber sein Gummi hatte die falsche Größe und blieb in ihr hängen, sodass sie ihn nicht wieder herausfischen konnte. Am Morgen schickte sie ihn los, Wattestäbchen aufzutreiben, weil er immer noch in ihr steckte. Während Jim unterwegs war, stand sie auf, ging zur Toilette und anschließend auf die Veranda, um aufs Meer hinauszusehen und seinen Geruch einzuatmen. Unter ihr zupfte eine Möwe etwas aus dem Sand, und nach einer Weile erkannte sie, dass es eine Plastiktüte war. Es kam ihr traurig und unromantisch vor, eine Erinnerung an die Trostlosigkeit des Daseins, die sie oft überkam, wenn sie allein war, und die ihre Gedanken unweigerlich zu ihrem Sohn führte. Plötzlich spürte sie, dass sich – durch die Schwerkraft oder den Gang zur Toilette – Jims Gummi löste, und sie ging ins Haus und zog ihn zu ihrer großen Erleichterung heraus, weil er eine Entzündung hätte hervorrufen können, wenn er noch länger in ihr geblieben wäre. Wieder auf der Veranda, sah sie noch weitere Möwen, und aus einer Laune heraus ließ sie den Gummi fallen und sah zu, wie die Möwen darum stritten. Dann blickte sie hinaus auf den Strand. In südlicher Richtung machte eine Familie einen Morgenspaziergang. Vater und Mutter hielten sich an der Hand,

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