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Ed King

Ed King

Titel: Ed King Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Guterson
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arbeiteten daran, Computer mit anderen Computern »sprechen« zu lassen, und ein angeschlossenes Forschungsinstitut, das Stanford Research Institute, SRI, unterhielt enge Kontakte zum Verteidigungsministerium. Überall um Ed herum, auf den Wegen des Campus, in den Wohnheimen, Seminarräumen, Bibliotheken und Vorlesungssälen, herrschte Aufbruchstimmung, das Gefühl, dass hier Geschichte gemacht wurde, von Leuten, die zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren und die ihre Chance nicht verpassen wollten. Für die Campus-Computer existierten Wartelisten, die von jungen Unternehmern angebotenen Seminare waren überfüllt, die Jobmesse war das reinste Tollhaus, und die Professoren hatten ihre eigenen Jünger und Fans. Und gleich nebenan gab es Hunderte Firmen, die nicht nur um die Stanford-Absolventen konkurrierten, sondern ihnen auch unerhörte Gehälter zahlten.
    Ed entschied sich für Mathe als Hauptfach und nahm ein Zimmer im Wohnheim und teilte es sich mit einem Jungen aus Mamaroneck, der ihm seine Ablehnung offen zeigte. Beide hatten einen Apple-II-Computer, auf dem sie bis tief in die Nacht Programme schrieben und über Kopfhörer Musik hörten. Innerhalb eines Monats brachte Eds Talent für das Entwickeln von Algorithmen ihm einen Job bei SAIL, Stanford’s Artificial Intelligence Lab, ein. In einem Nest von Studenten-Drohnen arbeitete er an einem Algorithmus, der zusätzliche Befehlsmöglichkeiten ohne eine Erweiterung des Keyboards erlaubte, und danach an der Verbesserung eines Schriftsystems unter Verwendung von Bindestrichen. Einmal hackte er sich spätabends bei SAIL bloß zum Spaß in die Meldungen der Nachrichtenagenturen. Es waren weniger die Nachrichten selbst, die ihn interessierten, als vielmehr die Art, an sie heranzukommen. Als Lichtblitze auf dem Jupitermond Ioentdeckt wurden, wusste Ed sofort davon, und als in den Niederlanden ein neuer Jahrhundertsommer gemessen wurde, war er ebenso schnell informiert. Dennoch verließ er im Januar den leistungsstarken Zentralrechner von SAIL und folgte dem Ruf seines Lehrers Doug Elarth ans SRI.
    Elarth, den Ed auf Mitte fünfzig bis sechzig schätzte, redete viel. Groß, schmalschultrig, mit Brille und Krauskopf, erzählte er einem in Fluren und Aufzügen sein Leben. Oft waren es unerbetene Kommentare wie: »Ich habe heute Morgen vergessen, die Wüstenrennmaus meiner Tochter zu füttern, und muss auf dem Weg nach Menlo Park kurz zu Hause vorbei«, oder: »Meine Frau war beim Arzt, weil sie glaubt, sie habe Gürtelrose.« Einmal streckte er Ed ebenso unvermittelt die linke Hand entgegen, an der der Ringfinger fehlte, und erklärte: »Den habe ich mit siebzehn verloren, eingezwängt zwischen eine Dreschmaschine und einem Kornsieb.« Ein anderes Mal hielt er sich mit der einen Hand ein Auge auf, während er mit der anderen künstliche Tränen aus einem Fläschchen hineintropfte und Ed erklärte, er habe »Blepharitis, eng verwandt mit Rosacea, wie du vielleicht noch nicht wusstest«. »Ich muss noch im Handwerkermarkt vorbei und ein Flickset für meinen Gartenschlauch holen.« »Ich habe gerade im Auto Musik von Mongo Santamaría gehört.« »Gestern Abend lief auf NPR eine Sendung über Neuerungen bei der Erdbebenmessung.« »Mein Nachbar hat gestern John McEnroe im Flugzeug gesehen.«
    Elarth war irgendwie kauzig. Einmal traf Ed ihn, mit einem Regenschirm hantierend, in einem Treppenaufgang. »Das Ding klemmt«, sagte er und fügte hinzu: »Wir hatten hier mal jemanden namens Carl Sunshine, der ständig mit einem Regenschirm herumlief. Genau der Carl Sunshine, dessen Name auf dem RFC 675 steht.« Als Ed aus reiner Höflichkeit nachfragte, drückte Elarth ihm ein zerknittertes, verwaschen vervielfältigtes Heft aus dem Jahr 1975 in die Hand. Darin wurde nüchtern und mit verschiedenen Diagrammen erklärt, wie ein globales Computernetzwerk aussehen könnte. Mit anderen Worten, der Text beschrieb ein »Internet«.
    Elarth war ein Träumer. Seine Vorlesungen zu Beginn und zum Abschluss eines Semesters waren schwindelerregende Höhenflüge. Erschrieb die Sorte wissenschaftlicher Arbeiten, die niemand lesen konnte, aber er schrieb ebenso verständliche, wenngleich weitschweifige Aufsätze, in denen er auf originelle Weise die segensreichen Auswirkungen des technologischen Fortschritts auf unseren Alltag aufzeigte. Er war Utopist, Berater der NASA und Unterwasserfotograf und hatte eine eigene Theorie über die mathematische Grundlage von Korallenriffen entwickelt. Da die

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