Ed King
Patentanwältin hatte sich als Hure verkleidet und trug Strapse und Dessous; Ed hatte darauf bestanden, unverkleidet zu gehen. Noch bevor sie durch die Tür traten, war seine Begleiterin schon im Pulk ihrer Bekannten verschwunden. Ed war dankbar dafür und trieb sich allein im Haus herum. Die meisten Besucher von Miller Mansion, einer riesigen viktorianischen Villa aus der Zeit der Jahrhundertwende, deren Beleuchtung wirkte wie die glühenden Kohlen eines heruntergebrannten Freudenfeuers, hatten sich mit viel Fleiß und Sorgfalt aufgemacht. Im dicht gedrängten Foyer wurde Ed von drei Typen begrapscht, die sich als Action-Helden verkleidet hatten und Adidas-Turnschuhe, gestreifte Trainingshosen und grelle Zirkusjacken trugen und sich als Türsteher entpuppten.
Ed hatte das Gefühl, in eine Scheinwelt geraten zu sein. Miller Mansion war tadellos gepflegt, und irgendein Vorbesitzer hatte ein so großes Faible für Kronleuchter besessen, dass er jeden Raum damit ausgestattet hatte. Außerdem gab es jede Menge Wandleuchter, die aber möglicherweise nur für das gegenwärtige Bacchanal aufgehängt worden waren. Die für die Dekoration zuständige Firma hatte sich fürein Rotlicht-Ambiente entschieden und Nebelmaschinen aufgestellt, die den Boden dauerhaft mit dichten Nebelschwaden verhüllten. Die Beine der Gäste verschwanden darin, obwohl hin und wieder ein plötzlicher Luftwirbel ein Loch hineinriss und den Blick auf türkische Teppiche, Eichendielen, grelle Schuhe und Netzstrümpfe freigab. Aus den Boxen dröhnten ausnahmslos Queen-Songs: Bohemian Rhapsody, Another One Bites the Dust, Crazy Little Thing Called Love und so weiter. Die Stimmung unter den Gästen war aufgekratzt bis überdreht. Den meisten gefielen offenbar die Verbindung von schrillem Camp und neureichem Chic, die maßvolle Dekadenz und die auf Zahnstochern aufgespießten und mit Schinken umwickelten Wasserkastanien. An der Bar wurden blutroter Merlot, Bloody Mary, dampfender Punsch und verschiedene Getränke von einer »Killer-Cocktails und Schädelspalter« überschriebenen Liste ausgeschenkt. Als Ed nach einem Weißwein fragte, schüttelte der Barkeeper nur verständnislos den Kopf. Der Typ sah aus wie Norman Bates, und Ed überlegte, ob das bloßer Zufall war oder ob man ihn genau deshalb angeheuert hatte.
Ed zog weiter. Überall liefen Zombies in zerfetzter Kleidung herum. Eine eifrige Morticia Addams – so eifrig, dass Ed sie für angemietet hielt – zog in einem schwarzen Humpelrock, auf einer Shamisen klimpernd, durch das Haus und stellte ihre verwelkte Schönheit zur Schau. Sie hatte eine graue Strähne in ihrem schwarzen Haar, die Ed durchaus aufreizend fand. Genauso gefiel ihm eine Mitarbeiterin des Catering-Service, die starr wie eine Wachsfigur dastand und ein Tablett mit Spanakopita-Dreiecken hielt. Sie hatte eine bleiche Haut, als hätte sie nie die Sonne gesehen, die hageren Wangen einer Zigeunerin, ein ausgeprägtes Kinn und pechschwarze Locken. War auch sie speziell für diesen Anlass verpflichtet worden? Oder war überhaupt alles an ihr echt?
Gegen elf Uhr begann der Auftritt von Psycho Youth. Ed hörte sie von einem Flur im zweiten Stock aus, auf dem sich so viele Partygäste drängten, dass man kaum noch Luft bekam. Gerade erst war ihm aufgegangen, dass in jedem Zimmer von Miller Mansion ein Künstler auftrat, und er wollte sich alle ansehen. In einem Raum verblüffte ein Magier sein Publikum mit Tauben und bunten Tüchern; in einem anderen focht ein Schwertschlucker einen fingierten Streit mit einemGast aus, der behauptete, Schwertschlucken sei »bloß ein Trick«. In einem dritten wirbelte ein Jongleur in Ballonhosen und einem orientalischen Turban Kartons mit Prophecy-Software durch die Luft; und in einem vierten zwängte sich eine Schlangenfrau in einen UPS-Frachtkarton, wobei erschwerend hinzukam, dass sie ein unförmiges Kostüm aus Isolierschaum trug. Es gab einen W.-C.-Fields-Imitator mit einer Bauchrednerpuppe auf dem Schoß, die obszöne Sprüche klopfte, und ein Mädchen auf einem Einrad, gekleidet wie eine chinesische Akrobatin, die Teller in die Luft warf und sie zu einem Stapel auf ihrem Kopf auftürmte. »Der unvergleichliche Cosmo« zeigte »einzigartige telekinetische Kunststücke«, indem er zum Beispiel allein mit der Kraft seines Willens eine antike Taschenuhr schneller laufen ließ und einen kleinen Kompass quer über eine Tischplatte in seine Hand dirigierte. In einer begehbaren Speisekammer trat ein
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