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Ed King

Ed King

Titel: Ed King Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Guterson
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erkennen, und es reichte aus, um ihn eine Weile in ihrer Nähe zu bannen.
    Die Tarotleserin warf sich einige Schalenden über die Schulter, um ihrem Auftritt mehr Schwung zu geben. »Das hier hat nichts mit Zauberei zu tun«, sagte sie. »Ich rufe keine Geister an oder so etwas.« Sie lachte, als machte sie sich über Scharlatane und Hellseher lustig. »Das ist wie Rommé oder Mau-Mau«, sagte sie, »wenn man die großen Arkana einmal außer Acht lässt.«
    Ed setzte sich ihr gegenüber an den Tisch. Der Stuhl war so niedrig, dass er sich wie ein Riese vorkam, und er hatte Angst, der Stuhl würde unter ihm zusammenbrechen. Er blinzelte im Rauch und im flackernden Licht, um ihr Gesicht genauer zu erkennen, aber es war von einem Weihrauchschleier und einem Schal verdeckt, den sie hochgezogen hatte, als er kurz aus dem Fenster gesehen hatte. »Na, dann zeigen Sie mir mal Ihre Kunst«, sagte Ed. »Legen Sie mir die Karten.«
    »Bist du sicher?«
    »Ja doch«, sagte Ed. »Ich will sehen, wie es funktioniert.«
    Die Leserin ließ ihre Hände über einer nicht existierenden Kristallkugel kreisen. »Also gut«, sagte sie hinter ihrer Weihrauchwolke. »Dann wollen du und ich dein Schicksal mit Hilfe einer jahrtausendealten Kunst bestimmen.«
    »Zu zweit?«
    »Es ist ein integrativer Vorgang.«
    »Und was heißt das?«
    »Das heißt, dass wir die Karten gemeinsam lesen.«
    »Ich dachte, Sie sind die Kartenleserin.«
    »Nein«, sagte die Leserin. »Das stimmt nicht. Ohne deine Mithilfe funktioniert es nicht.«
    Sie begann den langen Seidenschal auseinanderzufalten, der um die Tarotkarten gewickelt war. »Das Schöne daran ist, dass es nichts zu verlieren gibt«, sagte sie. »Du gewinnst ein kleines Stück Selbsterkenntnis, das dir vielleicht die Antwort auf ein bestehendes Problem oder einen Aspekt deiner Zukunft eröffnet.«
    »Durch ein Kartenspiel.«
    »Und Prophecy zahlt dafür«, entgegnete die Kartenleserin und hielt die Karten über das Rauchgefäß zu ihrer Linken, als wollte sie sie weihen. Dann zog sie die Karten zurück, strich sanft darüber und schob sie von einer Hand in die andere. »Du bist bei unserer Sitzung der Fragesteller«, erklärte sie. »Überlege dir eine Frage, aber sage mir nicht, welche es ist. Ich werde erst eine Karte ziehen.«
    Ed konnte nicht anders und musste lachen.
    »Spotte nicht«, warnte die Kartenleserin, »die Karten kennen die Zukunft.« Sie zog eine Karte und sagte: »Der Ritter der Stäbe. Passt das zu dir? Auf seinem Mantel sind Salamander abgebildet, die sich in den eigenen Schwanz beißen. Salamander widerstehen dem Feuer, weißt du? Das ist ein gutes Zeichen, weil die Stäbe Feuer symbolisieren. Sieh dir die Karte ruhig genauer an.«
    Ed kämpfte mit dem verwirrenden Stroboskoplicht, das von der Discokugel zurückgeworfen wurde. Die Karte zeigte einen Ritter mit Rüstung und Helm, in der rechten Hand einen Stab, aus dem einzelne grüne Blätter sprossen. Er ritt auf einem sich aufbäumenden Pferd. Im Hintergrund waren drei Pyramiden zu sehen. »Der Ritter der Stäbe ist ein Krieger«, sagte die Leserin. »Er kann ein treuer Freund und Geliebter sein, aber er kann durch seine impulsive Art auch sehr unangenehm werden. Das ist seine negative Seite – er ist ungestüm. Will immer mit dem Kopf durch die Wand. Wie du siehst, ist er unterwegs, obwohl das nicht heißen muss, dass er in den Krieg zieht. Dennoch scheint er es eilig zu haben, worauf auch das lospreschende Pferd hindeutet. Beide drücken Entschlossenheit aus, stehen für Tatkraft und Bewegung. Liegt die Karte auf dem Kopf, bedeutet das ein Fehlen jedweder Energie und innere Zerrissenheit.« Die Leserin legte den Ritter der Stäbe umgedreht auf ihre linke Seite. Dann nahm sie das Deck, drehte es einmal und hielt es Ed auf ihrer ausgestreckten Handfläche hin. »Möchtest du mischen?«, fragte sie.
    »Sollte ich das?«, erwiderte Ed.
    Von unten drang lauter Jubel herauf, nachdem Psycho Youth Another One Bites the Dust gespielt hatten. Ed kniff die Augen zusammen, um seine Kontaktlinsen zu justieren, und sah sie blinzelnd an. »Heb das Deck für mich ab«, sagte sie. »Es ist ganz egal, wie du es machst.«
    Ed nahm die Karten und gab ihr ohne großes Aufhebens etwa die Hälfte des Stapels zurück. »Gut«, sagte sie. »Und jetzt musst du sie mischen. Das heißt, nicht mischen, sondern mehrmals ineinanderschieben, weil sonst die Ecken abstoßen.« Wieder hielt sie ihm das Deck – ohne den Ritter der Stäbe – in einer

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