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Edelherb: Roman (German Edition)

Edelherb: Roman (German Edition)

Titel: Edelherb: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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lediglich das Leben von Menschen ruinieren. Ein Freund, der nicht vergisst, dass du das Leben seines Sohnes gerettet hast. Ein Freund, der dir besser helfen können wird, sobald dieser verflixte Wahlkampf vorbei ist.«
    »Wir sind keine Freunde, Mr. Delacroix.«
    Er zuckte mit den Schultern. »Im Moment vielleicht nicht. Aber wenn du mal so alt bist wie ich, gewöhnst du dich an die Vorstellung, dass die Feinde von gestern heute deine Freunde sein können. Oder andersherum. Gute Nacht, Anya Balanchine. Bleib gesund.«
     
    Rund eine Viertelstunde nachdem Charles Delacroix gegangen war, kam eine Wärterin und brachte mich zum Aufnahmeraum von Liberty. Obwohl es fast drei Uhr nachts war, warteten Mrs. Cobrawick und Dr. Henchen auf mich. »Es tut mir leid, dich hier wieder zu sehen, Anya Balanchine«, sagte Mrs. Cobrawick. »Aber ich kann nicht behaupten, dass es mich wundert.«
    Sie konsultierte meine Akte in ihrem Tablet. »Oje, oje. Mehrfacher Verstoß gegen die Bewährungsauflagen. Du hast dich viel rumgetrieben: Koffeinkonsum, Verletzung der Ausgangssperre und organisierter Schokoladenhandel.«
    Ich schwieg.
    »Wirst du denn niemals lernen, auf dem rechten Weg zu bleiben?«
    Immer noch antwortete ich nicht. Ich war so müde, dass ich fürchtete zusammenzubrechen.
    »Na, wir können jetzt genauso gut anfangen. Anya, lege bitte deine Sachen ab, damit du dekontaminiert werden kannst«, befahl Mrs. Cobrawick. Sie wandte sich an Dr. Henchen und sagte: »Ich fürchte, diese Kleidung kann nicht gerettet werden. Völlig überzogen von Schmutz.«
    Ich bückte mich, um meinen Rock auszuziehen. Dabei spürte ich einen seltsamen Schmerz in der Brust und fiel vornüber auf den Boden, schlug mit dem Kopf auf den Fliesen auf. Der Länge nach lag ich da und musste mich übergeben. Dr. Henchen eilte zu mir. »Ihr Herz rast, sie läuft blau an. Wir müssen sie auf die Krankenstation bringen.«
    Ehe ich mich versah, lag ich auf einer Trage und wurde über Liberty Island zur Krankenstation geschoben. Ich war noch nie dort gewesen, doch sie war überraschend sauber und modern, verglichen mit dem Rest der Einrichtung. Ein Arzt schnitt mir die Schuluniform vom Leib, Elektroden wurden auf meine nackte Brust geklebt. Ich hatte keine Kraft, mich zu schämen. Dann wurde ich zum zweiten Mal in weniger als vierundzwanzig Stunden ohnmächtig.
    Als ich am nächsten Morgen erwachte, wollte ich mich aufsetzen, doch mein Handgelenk war an die Seitenleiste des Krankenbettes gekettet.
    Ein Arzt kam ins Zimmer. »Guten Morgen, Anya, wie fühlen Sie sich?«
    Ich dachte nach. »Krank. Erschöpft. Aber im Ganzen nicht schlecht.«
    »Gut, gut. Sie hatten gestern Nacht einen Herzvorfall.«
    »So was wie einen Herzinfarkt?«
    »So ähnlich, nur sehr viel schwächer. Mit Ihrem Herzen ist alles in Ordnung. Es war eine allergische Reaktion. Sie kann auf etwas erfolgt sein, was Sie gegessen haben, es ist auch möglich, dass jemand versucht hat, Ihnen etwas unterzuschieben, auch wenn es glücklicherweise keine tödliche Dosis war. Das werden wir alles erst dann genau wissen, wenn der Bericht der Toxikologie kommt. Die Ursache könnte auch einfach nur Stress sein. Ich kann mir vorstellen, dass Sie in letzter Zeit unter enormem Stress gestanden haben.«
    Ich nickte.
    »Aber für den Fall, dass es doch etwas Ernsteres ist, müssen wir Sie zumindest die nächsten Tage zur Beobachtung hierbehalten.«
    »Am frühen Samstagmorgen habe ich von den Wärterinnen ein Beruhigungsmittel bekommen. Kann es das gewesen sein?«
    Der Arzt schüttelte den Kopf. »Das bezweifle ich – zeitlich passt das nicht richtig zusammen –, obwohl das gut ist zu wissen. Also, ruhen Sie sich aus, Ms. Balanchine, und nehmen Sie’s locker. Im Flur warten mehrere Besucher, die Sie unbedingt sehen wollen. Wenn das für Sie in Ordnung ist, sage ich jetzt Bescheid, dass sie hereinkommen können.«
    Ich setzte mich, so gut ich konnte, im Bett auf und zupfte mein Krankenhaushemd zurecht, um sicherzustellen, dass niemand tiefere Einblicke bekam.
    Mr. Kipling, Simon Green, Scarlet, Imogen und Natty traten herein. Sie kannten bereits die offizielle Begründung – dass ich mit Bagatelldelikten gegen meine Bewährungsauflagen verstoßen hatte –, daher musste ich das nicht mehr erklären. Wie zu erwarten, mussten Natty und Scarlet weinen, dann bat ich alle außer Mr. Kipling und Simon Green, den Raum zu verlassen. Nachdem ich die Höhepunkte meiner Unterredung mit Charles Delacroix

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