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Edelherb: Roman (German Edition)

Edelherb: Roman (German Edition)

Titel: Edelherb: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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mich entschuldigt!«
    »Ach, ja?«
    »In Gedanken,
si, si
. Mein Englisch ist nicht so gut.
Lo siento!
«
    Mir erschien sein Englisch ganz ordentlich. Ich kam zu dem Schluss, dass Theo liebenswert und kindisch war und dass ein Großteil dessen, was er von sich gab, Unsinn sein würde. Er bog mit dem Pick-up in eine Straße ein, die hinauf in die Berge führte, fort vom Meer. »Ich habe noch eine Schwester, Isabelle, sie ist verheiratet und lebt in Mexico City«, fuhr er fort. »Und dann gibt es noch Mama, Abuela und Nana. Mama leitet das Geschäft. Abuela und Nana kennen alle geheimen Rezepte und kümmern sich ums Kochen. Sie finden bestimmt, dass du zu dünn bist.«
    Bei der Erwähnung des Namens Nana wurde ich traurig. »
Abuela
ist deine Großmutter, stimmt’s? Wer ist dann deine
Nana?«
    »Meine
Bisabuela
«, erklärte Theo. »Urgroßmutter. Sie ist fünfundneunzig Jahre alt und fit wie ein Turnschuh. Sie wurde um 1980 geboren!«
    »In deiner Familie leben die Menschen aber lange«, bemerkte ich.
    »Die Frauen,
si
. Sie sind stark. Die Männer nicht so. Wir haben ein schwaches Herz.«
    Am Straßenrand schob eine alte Frau einen Karren voll gelber Früchte, die wie übergroße Äpfel aussahen. Theo hielt den Wagen an. »Entschuldige, Anya. Sie wohnt nicht weit von hier, aber ich weiß, dass sie Rückenschmerzen hat, wenn es regnet. Bin in weniger als zehn Minuten wieder zurück. Fahr nicht ohne mich weiter!« Er sprang aus dem Auto und lief zu der alten Frau. Sie küsste ihn auf beide Wangen, und Theo schob ihren Karren die Straße entlang, bis er mit der Alten in einer Schneise im Wald verschwand.
    Mit einer Frucht in jeder Hand kehrte er kurz darauf zum Auto zurück. »Für dich«, sagte er und legte die große Frucht in meine Hand. »
Maracuya.
Passionsfrucht.«
    »Danke«, sagte ich. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Theo ließ den Wagen wieder an. »Hast du eine große Liebe, Anya Barnum?«
    »Ich weiß nicht, was du damit meinst.«
    »Eine große Liebe! Eine große Leidenschaft!«
    »Meinst du einen Freund?«, hakte ich nach.
    »
Si,
einen Freund, wenn dir so ein langweiliges Wort lieber ist. Gibt es jemanden zu Hause, nach dem du dich verzehrst und der sich nach dir verzehrt?«
    Ich dachte darüber nach. »Zählt es auch, wenn es hoffnungslos ist?«
    Theo lächelte mich an. »Es zählt ganz besonders, wenn es hoffnungslos ist. Die Frau, der ich gerade geholfen habe, ist die
abuela
des Mädchens, das ich liebe. Leider hat mir dieses Mädchen gesagt, sie könne meine Gefühle nicht erwidern. Dennoch halte ich den Wagen an, um ihrer Großmutter zu helfen. Kannst du das erklären?«
    Das konnte ich nicht.
    »Kannst du dir vorstellen, was für ein Mädchen so herzlos ist, dass es jemandem derart Liebenswerten wie mir widersteht?«
    Ich lachte ihn an. »Dafür gibt es bestimmt einen Grund.«
    »Oh ja, und der ist sehr tragisch. Warum hören die Leute so gerne Liebesgeschichten? Was ist mit ›Mangel-an-Liebe-Geschichten‹? Kommen die nicht viel häufiger vor?«
    Draußen sah ich ein gewaltiges Bauwerk aus riesigen Steinquadern. »Was ist das denn?«
    »Ruinen der Mayas. Es gibt noch bessere in Chiapas an der Grenze zu Guatemala. Meine Vorfahren waren Maya, weißt du?«
    »
Theobroma?
Ist das also ein Maya-Name?«
    Er lachte mich aus. »Du musst noch sehr viel lernen, Señorita Barnum.«
    Die Straße war rumpelig, allmählich wurde mir schlecht. Ich lehnte den Kopf gegen die Fensterscheibe, schloss die Augen und war bald eingeschlafen.
    Ich erwachte vom Geschrei einer blökenden Ziege. Theo schüttelte mich am Arm. »Komm! Ich muss aussteigen und den Wagen schieben. Ich stelle die Schaltung auf Leerlauf, du setzt dich hinters Lenkrad.« Ich schaute aus dem Fenster. Es hatte angefangen zu regnen, dadurch war ein Teil der Straße von Schlamm überschwemmt. »Du kannst doch Auto fahren, oder?«, fragte Theo.
    »Eigentlich nicht«, gab ich zu. Ich war in der Stadt aufgewachsen, was bedeutete, dass ich mich sehr gut mit Busfahrplänen und festem Schuhwerk auskannte.
    »Kein Problem. Schau einfach, dass du in der Mitte der Straße bleibst.«
    Theo schob an und ich steuerte, anfangs zu zaghaft, doch dann bekam ich langsam ein Gespür dafür. Gute zwanzig Minuten später waren wir wieder auf der Straße. Das war wohl meine erste Lektion in Kakaoanbau: Alles dauerte länger, als man dachte.
    Als wir weiter den Hang hinauffuhren, wurde es immer dunkler, der Wald immer dichter. Noch nie in meinem Leben war ich an einem

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