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Edelherb: Roman (German Edition)

Edelherb: Roman (German Edition)

Titel: Edelherb: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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Anya.«
    Luz rief Anweisungen, und ehe ich mich versah, lag ich in einem Schlafzimmer im ersten Stock.
    Als ich am nächsten Morgen erwachte, saß an meinem Bett ein hübsches Mädchen, das so dichtes Haar hatte wie meine Schwester. Es hatte große Ähnlichkeit mit Luz, war nur ungefähr zwanzig Jahre jünger. »Oh, gut«, sagte das Mädchen. »Du bist wach. Mama wollte, dass jemand bei dir wacht, falls sich dein Zustand verschlimmern sollte und wir dich ins Krankenhaus bringen müssten. Sie meint, du seist wahrscheinlich nur schlecht ernährt und nicht an diese Luftfeuchtigkeit gewöhnt. Aber du wirst dich wieder erholen. Theo ist so dumm. Er hätte mit dir essen gehen sollen. Wir haben ihm große Vorwürfe gemacht – Theo, was bist du nur für ein Gastgeber? –, jetzt hat er ein schlechtes Gewissen. Er wollte hereinkommen, um sich bei dir zu entschuldigen, aber da ist Mama streng: Keine Jungen im Mädchenzimmer. Nicht mal Erwachsene. Ich bin dreiundzwanzig.« Ich hätte sie für wesentlich jünger gehalten. »Du bist neunzehn, nicht wahr? Du siehst aus wie ein kleines Kind! Zurück zu Theo. Er denkt immer nur an sich, weil er das Nesthäkchen der Familie ist und wir ihn so furchtbar verwöhnen. Es ist wirklich sinnlos, ihm Vorwürfe zu machen. Ich bin übrigens Luna.« Sie hielt inne, um mir ihre Hand zu geben. Luna und Theo sprachen beide schnell und viel. »Du siehst nicht schlecht aus, aber du brauchst eine bessere Frisur.«
    Befangen betastete ich mein Haar.
    »Das kann ich später für dich machen, wenn du willst. Ich bin künstlerisch sehr begabt und geschickt mit den Händen.«
    In dem Moment betraten zwei ältere Frauen das Zimmer. Die erste war um die sechzig, die andere sah aus, als sei sie über achtzig. Ich erkannte in ihnen die Großmutter und die Urgroßmutter, von denen Theo im Wagen gesprochen hatte. Die Ältere der beiden, Theos Nana, drückte mir einen Keramikbecher in die Hände. »Trink!«, sagte sie. Als sie mich anlächelte, sah ich, dass einer ihrer Zähne im Oberkiefer fehlte.
    Ich umklammerte den Becher. Das Getränk hatte eine braune Farbe, die ins Rötliche spielte, und war so zähflüssig wie Zement. Ich wollte nicht unhöflich zu meinen Gastgebern sein, aber die Substanz sah alles andere als verheißungsvoll aus.
    »Trink, trink!«, wiederholte die Alte. »Danach geht es dir besser.« Die beiden Frauen und Luna schauten mich voller Erwartung an.
    Ich hob den Becher und setzte ihn wieder ab. »Was ist das?«, wollte ich wissen.
    Luna lachte. »Das ist nur heiße Schokolade.«
    Ich bekundete, ich hätte in meinem Leben schon viel heiße Schokolade getrunken.
    »Aber nicht so eine«, versicherte Luna mir.
    Vorsichtig probierte ich einen kleinen Schluck, dann nahm ich einen größeren. Tatsächlich, das Getränk glich keiner heißen Schokolade, die ich bis jetzt probiert hatte. Sie war würzig und alles andere als süß. Zimt war darin, aber noch etwas anderes. Vielleicht Paprika? Und schmeckte ich auch etwas Zitroniges? Ich leerte den Becher. »Was ist da drin?«, fragte ich.
    Bisabuela schüttelte den Kopf.
    »Segreto de familia«
sagte Abuela.
    Ich konnte nicht viel Spanisch, doch diesen Satz verstand ich schon.
    Bisabuela nahm mir den Becher wieder ab, dann verschwanden die beiden. Ich setzte mich im Bett auf. Es ging mir bereits besser, was ich Luna auch mitteilte.
    »Das liegt an der Schokolade«, erklärte sie. »Sie macht gesund.«
    Ich hatte in meinem Leben ja schon viel über Schokolade gehört, aber noch nie, dass sie gesund sein sollte.
    »Nana sagt immer, es wäre ein uraltes Aztekenrezept. Bevor die Soldaten in die Schlacht zogen, bekamen sie früher diese Schokolade, sonst nichts.« Dann erklärte Luna, falls ich Interesse an Geschichte habe, sollte ich eine der Großmütter oder Theo danach fragen, der ebenfalls eine Schwäche für diese Schokoladen-Folklore hätte.
    »Ist das wirklich nur Folklore oder eine Tatsache?«, fragte ich.
    »Ein bisschen von beidem«, antwortete Luna. »Komm, Anya, ich hänge dir ein paar Kleidungsstücke in den Schrank.«
    Sie zeigte mir die Dusche. Da ich ein zuvorkommender Gast sein wollte, fragte ich, ob das Wasser rationiert sei, aber Luna zog nur eine Grimasse. »Nein, Anya«, sagte sie nachsichtig. »Wir sind hier schließlich im Regenwald.«
     
    Am Nachmittag zeigte mir Theo die Farm der Familie. Er war ein guter Führer – er wusste viel und störte sich nicht an meinen Fragen –, und auf seinem Grund und Boden war er ein anderer

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