Edelherb: Roman (German Edition)
Mensch. Dieser Theo war ruhig und nachdenklich. Ich fand ihn umgänglicher als den Jungen im Pick-up.
Er zeigte mir die großen Pflanzenschulen, wo die Setzlinge gezogen wurden, und die Unterstände zum Lagern der Holzkisten, in denen die reifen Bohnen fermentierten. Am sonnigsten Platz der Plantage präsentierte er mir die Flächen, wo die Bohnen getrocknet wurden, bevor sie in den Verkauf kamen. Als Letztes gingen wir auf die Felder. Sie waren ziemlich überschattet und feucht, da sie unter dem Blätterdach des Regenwaldes lagen. Theo erklärte mir, Kakao benötige zum Wachsen sowohl den Schatten als auch die Feuchtigkeit des Dschungels. Ich war natürlich noch nie auf einem Kakaofeld gewesen und hatte sicherlich auch noch nie eine Kakaofrucht aus der Nähe gesehen. Einige Blätter waren violett, doch viele nahmen einen grünlichen Farbton an. An den Ästen wuchsen winzige weiße Blütenbüschel mit rosa Zentrum. »Kakao gehört zu den wenigen Pflanzen, die zur gleichen Zeit Blüten und Früchte tragen«, erklärte mir Theo. Die Samenkapseln selbst waren etwas kleiner als mein Handteller, doch was mich überraschte, war ihre Farbe. Schokolade hatte ich immer nur braun gekannt, doch einige dieser Früchte waren rötlich, fast violett, andere golden, gelb oder orange. Ich fand, sie sahen märchenhaft aus. Sogar magisch. Ich wünschte mir, dass Natty sie sehen könnte, und kurz fragte ich mich, ob ich hätte versuchen sollen, sie mit hierherzunehmen. Aber natürlich wäre das aus vielen Gründen unmöglich gewesen. »Sind die schön«, kam es ungewollt aus mir heraus.
»Ja, wirklich, oder?«, stimmte Theo mir zu. »In weniger als einem Monat sind sie so weit, dass sie von den Bäumen geschnitten werden können, dann beginnt der Fermentationsprozess.«
»Was machen die Bauern denn heute?« Die Arbeiter trugen ebenjene Macheten, die ich schon am Vortag gesehen hatte. Neben ihnen standen Körbe auf dem Boden.
»Sie schneiden alle Früchte ab, die Anzeichen von Pilzbefall haben. Das ist die Ironie von Kakao – er kann nicht ohne Wasser leben, aber wird von zu viel Wasser zerstört. Der Pilz heißt Monilia, und schon in ganz kleinen Mengen kann er die gesamte Ernte verderben, wenn er nicht frühzeitig entfernt wird.« Fachkundig untersuchte Theo den nächsten Baum und wies auf eine grüngelbe Kakaofrucht, die an der Spitze schwarz war, durchsetzt mit weißen Flecken. »Siehst du das? So sieht beginnende Fruchtfäule aus.« Er zog seine Machete aus dem Gürtel und reichte sie mir. »Schneide du sie ab. Es ist schwerer, als du glaubst, Anya. Kakaoanbau ist keine Frauenarbeit. Diese Bäume sind kräftig.« Er zeigte mir seinen Bizeps.
Ich versicherte ihm, ich sei kein Schwächling, und nahm seine Waffe. Sie wog schwer in meinen Händen. Ich hob die Machete und wollte sie auf die Frucht niedersausen lassen, doch dann hielt ich inne. »Moment! Wie schneidet man das ab? Ich will es nicht falsch machen.«
»In einem schrägen Winkel«, erklärte Theo.
Ich hob die Machete erneut und schlug die kranke Frucht ab. Es war kein glatter Schnitt. Dieser Baum war äußerst hart. So was den ganzen Tag zu machen war bestimmt ziemlich anstrengend.
»Gut«, sagte Theo, nahm mir die Machete ab und begradigte meinen Schnitt.
»Ich dachte, das wäre gut gewesen.«
»Na, du wirst noch besser werden«, entgegnete er grinsend. »Ich will dir nur Mut machen.«
»Vielleicht brauche ich eine eigene Machete?«, schlug ich vor.
Er lachte. »Auf jeden Fall. Die Auswahl der eigenen Machete ist eine höchst persönliche Angelegenheit.«
»Warum gibt es keine Maschinen, die das erledigen können?«, fragte ich.
»
Ay, dios mio!
Der Kakaobaum widersetzt sich Maschinen. Er mag Menschenhände und Berührungen. Und man braucht das menschliche Auge, um Monilia zu erkennen. Der Baum hasst Pestizide. Alle Versuche, die Bohnen genetisch zu verändern, haben sich als Fehlschlag erwiesen. Der Kakaobaum muss sich gegen Widerstände durchsetzen, sonst ist der produzierte Kakao nicht reichhaltig genug. Die Pflanze muss immer wieder mit dem sicheren Tod konfrontiert sein.
Mi papa
sagte immer, dass man im Jahre 2080 den Kakao noch immer so anbaut wie 1980 oder sogar 1080 , will sagen, er war immer schwer anzubauen, und er ist bis heute schwer anzubauen. Deshalb wurde er in deinem Teil der Welt verboten, weißt du. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es der Kakao war, der meinen Vater so früh seine letzte Ruhe finden ließ.« Theo bekreuzigte sich und lachte
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