Edelmann und Satansfreund
griff in die Hosentasche und holte ein zusammengefaltetes Blatt Papier hervor. Inzwischen war es so still geworden, daß jeder hörte, wie das Papier auseinandergefaltet wurde. Das Knistern erhöhte dabei die Spannung.
»Dann fang ich an, nicht?«
»Ich bitte darum.«
Nägele verließ seinen Platz. Er brauchte nicht weit zu gehen, um sich vor der Schmalseite des langen Tisches aufzubauen. Direkt hinter ihm befand sich die Wand, die aus zahlreichen schmalen Steinen zusammengefügt worden war.
»Brauchst du noch Licht?« fragte jemand.
»Nein.«
»Oder kannst du nicht lesen?«
Lachen, aber nur verhalten, dann nickte Ernst Nägele, räusperte sich noch einmal und fing an zu lesen. Seine Stimme wurde auch außerhalb des Gewölbes von Charlie und mir gehört.
Im alten Schloß zu Zavelsreuth, da wohnen gar fidele Leut.
Die Schloßfrau Hilde zavelt gern, und da der Schloßherr gerade fern, so läßt sie sich aus freien Stücken, von dem Lakaien Franz beglücken.
Sie rief die dicke Käthe her, die zweidreiviertel Zentner schwer.
Zu dieser sprach sie: »Nun, wohlauf, Du setzt dich auf den Franz noch drauf.«
Der Franz hebt seinen Säbel an, damit er nicht verrutschen kann.
Doch plötzlich gab es einen Krach, und alle dreie lagen flach.
Die Schloßfrau, die schrie wie am Spieß, weil gar zu tief der Säbel stieß.
Dem Franz entfuhr bei diesem Sturz, ein fetter Rülpser und ein Furz.
Und das war von der Legende das bitterböse Ende.
Ernst Nägele ließ das Blatt sinken. Den Blick dabei über den Tisch hinweg zur Tür gerichtet, wo Hilde stand und sich nicht bewegte. Kein Muskel zuckte in ihrem Gesicht.
Auch die anderen Gäste blieben stumm, sie waren durchweg peinlich berührt. Es war noch keiner so betrunken, daß er sich über die Zeilen hätte ausschütten können vor Lachen.
Auch Charlie Korn und ich hatten zugehört. Während ich schwieg, schüttelte Körnchen den Kopf. Er wollte auch etwas sagen, aber ich bedeutete ihm, lieber zu schweigen. »Das schafft die Hilde ganz allein«, flüsterte ich ihm zu.
»Meinen Sie?«
»Verlassen Sie sich darauf.«
Im Gewölbe bewegte sich noch immer nichts. Auch Nägele blieb stumm.
Wahrscheinlich war ihm die ganze Sache nicht geheuer. Er nahm die Handfläche, um den Schweiß von der Stirn zu wischen, dann trocknete er die Haut an seinem Hosenbein ab.
»He!« rief er. »He! Wo bin ich denn hier? Auf einer Trauergesellschaft? Keiner spricht. Niemand sagt was und…«
»Doch, Nägele, ich sage etwas, denn du hast das Gedicht ja mir gewidmet.«
»Klar.«
Die Augen der Gäste richteten sich auf Hilde, die ganz locker blieb und ihren Arm ausstreckte. Jeder sah die Bewegung ihres Zeigefingers, mit dem sie Ernst Nägele herbeilocken wollte. Er glaubte, nicht richtig gesehen zu haben, und fragte: »Was ist denn?«
Die Frau mit den roten Haaren gab die Antwort. »Du sollst zu ihr kommen.«
»Ja, genau!« rief Hilde in den Saal hinein. »Ich möchte, daß du zu mir kommst.«
»Warum denn?«
»Ich will mich für dein tolles Gedicht bedanken. Du hast dir damit soviel Mühe gemacht, Ernst.«
Nägele fühlte sich nicht sehr wohl. Er hatte die Schwelle des guten Geschmacks längst überschritten. Eigentlich hätte Hilde jetzt verschwinden können, sie wäre noch immer die Siegerin gewesen, aber sie wollte Nägele einen Denkzettel verpassen.
»Also schön«, sagte sie, »wenn du nicht zu mir kommst, dann komme ich eben zu dir.«
Nägele staunte nur. Er war sprachlos, aber er fühlte sich mehr als unwohl. Er machte den Eindruck eines Menschen, der bereits nach einem Fluchtweg sucht.
Doch den gab es nicht. Er hätte schon hinter den anderen Gästen entlanglaufen müssen. Ein Mann, der ziemlich nahe bei ihm saß, sagte:
»Bleib ja stehen, Ernst.«
Hilde ging weiter. Sie zögerte nicht einmal in ihren Schritten. Mir gefiel die Entwicklung nicht. Ich löste mich aus meiner Deckung und betrat das Gewölbe ebenfalls, ohne allerdings von den Gästen bemerkt zu werden, denn die hatten nur Augen für Hilde und den Gedichteschreiber.
Es war nicht ihr Ding, das wußte Hilde auch, aber sie hatte einmal in den sauren Apfel gebissen und mußte die Sache jetzt durchziehen, wenn sie wieder in den Spiegel schauen wollte. Es ging einfach nicht anders, deshalb schritt sie weiter.
Sie konnte die Beklemmung des Mannes beinahe riechen. Nägele wußte wirklich nicht, wie er sich verhalten sollte. Er war nervös. Sein Blick suchte nach einem Ausweg, ohne ihn jedoch zu finden.
Hilde kam
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