Edelsüß: Norma Tanns vierter Fall (German Edition)
Krebs nicht mehr aufzuhalten gewesen
war, hatte sie Angelas Mutter ebenso gewissenhaft bis zu deren Tod gepflegt. Bald
darauf heirateten Elisa und Karl. Angela machte sich keine Illusionen: Sie selbst
wäre weder fähig noch willens gewesen, ihre Eltern ebenso aufopferungsvoll zu versorgen.
Elisa schaute
zur Tür. Ein tadelnder Blick. »Du kommst spät!«
Sie verteilte
ihre Engelsgeduld höchst ungleichmäßig zwischen Patienten und Angehörigen.
»Heute Vormittag
war ein Interessent im Weingut«, entgegnete Angela angriffslustig. »Glaubst du,
ich überlasse die Entscheidung ausschließlich Henriette und Oliver?«
»Das verstehe
ich«, lenkte Elisa ein. »Es ist nur, weil dein Vater nach dir gefragt hat.«
Im Stehen
betrachtete Angela den Schlafenden. Ein Mann in den 70ern, das Gesicht mit einer
Haut wie Papier, von jahrzehntelangen Schmerzen gezeichnet. Der Schlaf und die Träume
waren seine wohlwollenden Gefährten. Er hielt durch. Als strafte der Körper die
Todessehnsucht der Seele mit einem unbeirrbaren Lebenswillen.
Elisa stand
auf und rückte ihren Stuhl beiseite. »Setz dich dazu! Henriette ist also fest zum
Verkauf entschlossen?«
Angela holte
den zweiten Stuhl vom Fenster heran. »Ich glaube, in erster Linie will sie auf diese
Weise von Oliver loskommen. So ein Querulant! An allem, was seine Mutter tut, meckert
er herum. Und mir macht er ebenso das Leben schwer. Bin ich froh, wenn er endlich
auszieht!«
»Als du
das Gesindehaus kauftest, wusstest du doch, worauf du dich einlässt.«
»Stimmt,
wir waren als Nachbarskinder wie Hund und Katze. Seinen Stumpfsinn habe ich dennoch
unterschätzt. Henriette dagegen wird mir fehlen. Sie ist mir eine echte Freundin
geworden.«
Der Vater
stöhnte im Schlaf. Elisa streichelte seine Hand. »Oliver geht es ausschließlich
ums Geld.«
Angela nickte.
»Er will an den Meistbietenden verkaufen. Sein Favorit ist ein Investor, der aus
dem Weingut ein Hotel machen will. Das würde ein Kommen und Gehen geben, und mit
meiner Ruhe wäre es dahin.«
»Und heute
Morgen?«
»Ein Verleger
aus Wiesbaden. Lutz Tann. Durchaus angenehm und gebildet, wie mir scheint. Seine
Schwiegertochter war dabei. Sie heißt Norma Tann.«
»Arbeitet
sie in seinem Verlag?«
»Nein, sie
hat einen ausgefallenen Beruf. Eine Privatdetektivin.«
»Tatsächlich?«,
staunte Elisa. »Ob dieser Verleger dieselbe Summe zahlen will oder kann wie Olivers
Investor?«
Wie auch
immer, ohne ihre Zustimmung liefe gar nichts, bekräftigte Angela. »Oliver hat sich
damals auf meinen Kaufvertrag eingelassen. Wenn er auf seinen Pläne beharrt, dann
nur über meine Leiche.«
Elisa erhob
sich. »Über den Tod scherzt man nicht! Wir sehen uns morgen?«
Seit Jahren
trafen sie sich jeden zweiten Mittwochabend in der Wiesbadener Spielbank. Man hielt
Kontakt, ohne viel miteinander reden zu müssen, was Elisa offenbar ebenso lieb war
wie Angela.
»Selbstverständlich«,
bestätigte Angela. »Bis dann.«
Zum Abschied
tätschelte Elisa ihrem Mann zärtlich die Wange. Kaum war die Tür zugefallen, schlug
Karl Bennefeld die Augen auf.
Seine Hand
tastete nach Angelas Arm. »Mein Mädchen!«
Sie wärmte
seine eiskalten Finger. »Sag bloß, du bist seit einer Weile wach?«
Er zwinkerte
ihr zu. »Du weißt, ich mag Elisa. Sie ist eine anständige Frau. Sie hat so viel
für deine Mutter und mich getan. Trotzdem erdrückt mich ihre Fürsorge manchmal.«
Das Lächeln
in seinem mageren Gesicht berührte sie. »Du bist so viel allein, Vater! Sei dankbar
für die Stunden, in denen sie dir Gesellschaft leistet.«
Sein Händedruck
verstärkte sich. »Was Christina darüber denken würde? Dass ich Elisa geheiratet
habe.«
Sein ewiges
Sorgenthema. Dauernd fing er davon an, und nicht immer fand sie die Geduld dafür.
»Es war Mutters ausdrücklicher Wunsch, das weißt du genau! Sie selbst hat dir zugeredet.
Damit du jemanden hast, der sich um dich kümmert.«
Mit der
zweiten Ehe hatte er sich eine Betreuung auf Lebenszeit gesichert. Für Elisa jedoch
schien es mehr zu sein als das Arrangement ›Pflege gegen Witwenrente‹ und die Aussicht
auf eine bescheidene Erbschaft. Ein großes Vermögen war aus dem Familienbesitz nicht
übrig geblieben. Elisa mochte Karl, darin war sich Angela sicher. Womöglich war
sogar Liebe im Spiel. Elisa hätte ihren Mann gern weiterhin zu Hause gepflegt. Karl
selbst hatte auf den Umzug ins Pflegeheim bestanden.
»Möchtest
du etwas trinken?«
Sanft löste
sie die Hand aus seinem Griff und
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