Edelsüß: Norma Tanns vierter Fall (German Edition)
Ewalds Reste eingesammelt und dort hineingetan.«
Norma verschlug
es für einen Augenblick die Sprache.
Henriette
lächelte unbeeindruckt. »Sie sind schockiert? Das müssen Sie nicht sein. Wissen
Sie, im Leben habe ich meinen Mann fürchten gelernt. Sein Skelett konnte mir keine
Angst einjagen.«
Sie schaute
auf das Kruzifix neben dem Fenster. »In der zweiten Hälfte meines Lebens ist mir
der Glaube immer wichtiger geworden. Angela verstand meinen Wunsch, Ewald in geweihter
Erde zu begraben, und wollte mir in aller Stille dabei helfen. Wir hatten vor, ihn
in der Nacht gemeinsam auf dem Schiersteiner Friedhof zu bestatten.«
Norma räusperte
sich. »Das war Ihr Wunsch, Frau Medzig. Ich habe meine Zweifel, ob Angela ebenso
dachte. Sie musste befürchten, dass der Mörder das Skelett fortschaffen würde, sobald
sie ihn mit der Entdeckung unter Druck setzte. Deswegen sollte das Gerippe aus dem
Keller heraus.«
Henriette
reagierte empört. »Was unterstellen Sie Angela? Niemals hätte sie jemanden erpresst.«
»Sind Sie
sicher? Dann frage ich Sie, zu welchem Zweck Angela die Mütze Ihres Mannes aufbewahrt
hat? Ich gehe davon aus, sie hat die Kappe im Weinfass gefunden.«
Henriette
fuhr hoch und stützte sich auf der Sofakante ab. »Was sagen Sie? Angela hatte Ewalds
Batschkapp? Davon hat sie mir nichts erzählt.«
Norma rückte
ein Stück näher an das Sofa heran. »Frau Medzig, wer hat Ihren Mann getötet?«
Henriette
hob abwehrend die Hände. »Dazu habe ich alles gesagt.«
»Also gut,
reden wir über das Gerippe. Warum haben Sie die Knochen ausgerechnet an mich geschickt?«
Henriette
schaute zum Fenster und wartete, bis zwei Polizisten vorübergegangen waren. Stockend
schilderte sie ihre Sorge, die sterblichen Überreste ihres Mannes nicht mit kirchlichem
Beistand unter die Erde bringen zu können. »Mag Ewald gewesen sein, wie er war.
Trotzdem hat er ein Recht darauf, auf einem Friedhof begraben zu werden. Er durfte
nicht länger ohne Gottes Beistand vor sich hinrotten. Mir war klar, ohne Angela
würde ich das nicht schaffen. Als ich den Koffer holen wollte und wir uns trafen,
Frau Tann, kam ich auf die Idee, Ihnen die Knochen zu schicken.«
»Ich bin
mit Ihrer Post zur Polizei gegangen. Damit mussten Sie rechnen. Sind Sie tatsächlich
davon ausgegangen, dass die Knochen eines Unbekannten bestattet werden?«
»Ist das
nicht so?«, fragte sie verstört. »Was geschieht sonst damit?«
»Das ist
nicht mehr wichtig. Sobald alles geklärt ist, können Sie Ihren Ewald in aller Öffentlichkeit
bestatten.«
Ihre nächste
Frage galt dem Schädel.
Henriette
Medzig zuckte zusammen. »Den Kopf konnte ich nicht mitschicken. Man hätte Ewald
anhand der Zähne identifizieren können, und dann wäre die Polizei gekommen. Das
weiß ich aus dem Fernsehen.«
»Was hatten
Sie mit dem Schädel geplant?«
Henriette
zuckte mit den Schultern. »Ich wollte ihn nachts auf dem Schiersteiner Friedhof
vergraben. Dafür hätte ein kleines Loch gereicht. Bisher fand ich nicht den Mut
dazu.«
Norma senkte
die Stimme. »Wo ist der Schädel jetzt, Frau Medzig?«
»Wieder
dort, wo er all die Zeit gelegen hatte.«
Norma entschuldigte
sich und verließ die Küche. Sie bat die Polizistin, die in der Diele gewartet hatte,
Frau Medzig nicht aus den Augen zu lassen, und fragte nach dem Einsatzleiter. Der
Suchtrupp sei inzwischen im Riesenkeller angelangt, erklärte die junge Beamtin.
Gert-Michael
Schneider stand mitten im Hauptgang unter einer Deckenfunzel und diskutierte mit
einer hageren Gestalt, von der nur die Silhouette zu erkennen war. Als Norma näher
herangekommen war, entpuppte sich der Schatten als Timon. Er lächelte ihr zu. Seine
Zähne blitzten im Lampenschein auf. Der Chef des Kommissariats war weniger guter
Stimmung. Er habe vor einer Minute mit Milano telefoniert. Oliver Medzig bestreite
jede Beteiligung am Tod seines Vaters. Im Augenblick versuche sich Wolfert mit verständnisvoller
Zuwendung an dem Verdächtigen. Wenn Oliver weiterhin schweige, müssten sie ihn laufenlassen.
Allein die Tatsache der Verwandtschaft reiche für einen Haftbefehl nicht aus. Die
Hausdurchsuchung habe ebenso wenige Ergebnisse geliefert. Bisher keine Spur von
der Wehrmachtspistole, was in Anbetracht der verstrichenen Zeit niemanden überraschen
könne. Und nun dieser Keller!
Eine Sisyphusarbeit
sei nichts gegen die Suche in diesem Labyrinth, knurrte er genervt. »Und dieser
Kollege des LKA tut sich das freiwillig an.«
»Mir ist
der
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