Edelsüß: Norma Tanns vierter Fall (German Edition)
Knochenmann nahegekommen«, konterte Timon vergnügt. »Ich kenne ihn besser als
jeder andere hier. Ich wäre gern dabei, wenn Sie sein Grab finden.«
Norma lächelte
ihm im Zwielicht zu. »Dazu könnte ich etwas beitragen.«
»Sag bloß,
die Medzig hat geredet«, staunte Schneider. »Hat sie etwas zum Täter gesagt?«
»Ja, allerdings
kryptisch formuliert. Sie wollte mit der Vertuschung der Tat ihr eigen Fleisch und
Blut schützen.«
»Was soll
daran kryptisch sein? Sie belastet Oliver.« Unverzüglich hob sich Schneiders Laune.
Mit der Aussage der Mutter konfrontiert, würde Medzig gestehen, meinte er zuversichtlich.
Norma schlug
vor, dem Riesenweinfass einen genaueren Blick zu gönnen. Es dauerte einige Minuten,
bis der richtige Gang gefunden war. Schneider trommelte seine Leute zusammen. Norma
nutzte die Gelegenheit, eine SMS zu lesen. Chrissi hatte geschrieben; Benni sei
wieder aufgetaucht.
Ein Beamter
zog das Mannlochtürchen auf. Ein Strahler wurde herangetragen, der das Fassinnere
taghell ausleuchtete. Timon bot sich als Freiwilliger an, doch Schneider ließ es
sich nicht nehmen, als Erster den Kopf durch die Luke zu stecken.
»Volltreffer!
Dort drinnen liegt ein menschlicher Schädel«, verkündete er, als er wieder herauskam.
»Das Fass wäre in der KTU besser aufgehoben. Aber bei diesen Ausmaßen bleibt uns
nichts anderes übrig, als das Labor hierher zu verlegen. Dr. Frywaldt, Sie sind
nicht umsonst gekommen. Auf geht’s, Leute!«
Timon nahm
Norma beiseite. »Gute Arbeit!«
Sie bedankte
sich für seine Unterstützung.
»Wie hast
du das gemeint mit dem ›eigen Fleisch und Blut‹?«, fragte er. »Zweifelst du an Henriette
Medzigs Aussage?«
»Nicht an
der Aussage. An der Interpretation.«
»Wie soll
ich das verstehen?«
»Abwarten!
Ich melde mich später. Kümmere dich vorerst um die Spuren im Fass.«
»Und welche
Spur wartet auf dich?«
»Ich nehme
die Fährte meines Einbrechers auf.«
42
Am frühen Nachmittag fuhr sie in
den Rheingau. Unter dem strahlenden Himmel glitzerte zu ihrer Linken der durch das
Tal strömende Fluss, während sich rechts der Straße die Weinberge bis hinauf zum
dunklen Taunuskamm zogen. Sie passierte die beschaulichen Weinorte Erbach und Hattenheim,
deren Kirchtürme sich über die aneinandergedrückten Altstadthäuser reckten, und
hielt in Mittelheim Ausschau nach der ehrwürdigen Basilika, die seit 900 Jahren
auf diesem Platz herrschte. Die allgegenwärtigen Hinweise auf Weingüter und Gutsschänken
wiesen darauf hin, wie stark sich die Region dem Weinbau verschrieben hatte. Die
Präsenz der Herrenhäuser und Schlösser ließen die Frage, ob es sich über die Jahrhunderte
gelohnt haben mochte, überflüssig erscheinen. In Rüdesheim stockte der Verkehr.
Die geschlossenen Bahnschranken führten zum Stau und gaben ihr die Gelegenheit,
in die berühmt-berüchtigte Drosselgasse hineinzuspähen, bis sich die Autoschlange
wieder in Bewegung setzte und an der Brömserburg vorbeirollte, dem urigen Domizil
des Rheingauer Weinmuseums. Anders als ihre hoch hinaufstrebenden Schwestern hatte
sich die kastige Burg nahe am Rheinufer niedergelassen. Norma steuerte den Wagen
über die Bahngleise. Hinter dem weltbekannten Städtchen rückten die Hänge zusehends
dichter und aufragender an den Strom heran, der bald einen scharfen Bogen nach Norden
schlug. Als die romantischen Türmchen des Hotels ›Krone Assmannshausen‹ in Sicht
kamen, setzte sie den Blinker und ließ die Uferstraße hinter sich.
Sie war
nervös, und dies aus gutem Grund. Benni hatte den Einbrecher beschrieben und ihren
Verdacht bestätigt. Bei ihrem Anruf hatte sich der Batschkappdieb äußerst beschäftigt
gegeben, sich trotzdem wie angekündigt eine halbe Stunde später gemeldet und Ort
und Zeit des Treffens vorgeschlagen. Norma wusste, ihr blieb nichts anders übrig,
als sich darauf einzulassen. Um ihn zu überführen, musste sie ihn mit seinen eigenen
Waffen schlagen.
Die Wartezeit
hatte sie für die Vorbereitungen genutzt und mehrere Gespräche geführt. Das Sträßchen
stieg zunehmend an, während es sich in Serpentinen zum Assmannshäuser Höllenberg
hinaufschlängelte. Bald musste Norma in den zweiten Gang zurückschalten. Vor einem
Metalltor war Schluss. Sie parkte neben einem Kleinwagen mit Frankfurter Kennzeichen,
der ebenso unscheinbar und unauffällig war wie ihr eigenes Auto. Die Motorhaube
fühlte sich warm an. Die Nobelkarosse war nicht zu entdecken und kein weiterer Wagen
in der Nähe
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