Edelsüß: Norma Tanns vierter Fall (German Edition)
verwickelt
ist.«
Norma versprach,
mit der angemessenen Zurückhaltung vorzugehen.
Er gab seinen
Leuten die Anweisung, Norma ins Haus zu lassen. Henriette hielt sich in der Küche
auf. Sie saß in straff aufrechter Haltung auf dem Kanapee und begrüßte Norma erleichtert,
als wäre sie froh, zwischen all den Polizisten ein bekanntes Gesicht zu erblicken.
Mit kalkweißen Wangen und fahrigen Händen wirkte sie auf einen Schlag um Jahre gealtert.
Am Tisch saß eine uniformierte Polizistin und blätterte in einer Illustrierten.
Offenbar hatte Schneider sie telefonisch instruiert. Sie stand mit einem freundlichen
Gruß auf und verließ die Küche.
Henriette
und Norma blieben allein zurück.
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Ohne zu fragen, brühte Norma einen
schwarzen Tee auf und bereitete ein Schinkenbrot zu. Henriette vermittelte den Eindruck,
als habe sie wieder einmal das Frühstück ausgelassen. Mit hölzernen Bewegungen griff
sie nach dem Tee und pickte an der Schnitte wie ein Vogel.
Sie sei
froh über Normas Gegenwart, erklärte sie flüsternd, aber nicht über die der anderen
Leute, die sich in Haus und Hof breitmachten. »Diese Männer mit den barschen Stimmen.
Sie sollen mich in Ruhe lassen.«
Die Stille
im Haus, die hin und wieder von leisen Schritten und gedämpften Worten durchbrochen
wurde, ließ nicht darauf schließen, dass in diesem Moment das Obergeschoss von einem
halben Dutzend Beamten nach Hinweisen durchstöbert wurde.
Norma nahm
sich einen Stuhl und rückte ihn an das Sofa heran. Sie wartete, bis Henriette sie
ansah. »Darf ich Sie etwas fragen? Als wir uns das letzte Mal in Ihrer Küche getroffen
haben, sagten Sie mir, Ihr Mann habe Sie ›Hennlein‹ genannt.«
Henriette
nickte zögerlich. »Ja, unter uns hat er mich niemals anders genannt. Warum kommen
Sie darauf zu sprechen?«
»Weil ich
eines nicht verstehe: Da schreibt ein Mann kurz vor seinem Tod einen Abschiedsbrief
an seine Frau. Aber er spricht sie darin nicht mit dem Kosenamen an. Kam Ihnen das
nicht merkwürdig vor?«
Auf Henriettes
kreideweißen Wangen zeichneten sich blaue Äderchen ab. »Ich weiß nicht, worauf Sie
hinauswollen.«
»Dann erkläre
ich es Ihnen, Frau Medzig. Ihr Mann hat sich nicht das Leben genommen. Er wurde
erschossen. Mit seiner eigenen Pistole. Der Abschiedsbrief ist gefälscht. Der Täter
hatte es leicht mit der Fälschung. Ihr Mann nahm immer die Schreibmaschine, weil
er mit seinen verkrüppelten Fingern kaum einen Stift halten konnte. Ein maschinengeschriebener
Brief erzeugte demnach keinen Verdacht. Die Anrede jedoch war ein Versehen, das
Sie erkannt haben müssen. Trotzdem haben Sie geschwiegen. Weil Sie froh waren, dass
der Mann, der Sie und Ihren Sohn gequält und gedemütigt hat, endlich aus dem Weg
war?«
Henriette
starrte Norma entgeistert. »Was reden Sie da! Sie haben keine Ahnung. Wenn es nur
um mich gegangen wäre, ich hätte alles auf mich genommen.«
»Aber es
ging nicht allein um Sie, Frau Medzig.«
Henriette
senkte den Kopf und stützte sich mit den Händen auf dem Sofa ab. »Ich konnte mein
eigen Fleisch und Blut nicht verraten«, flüsterte sie.
»Also haben
Sie der Polizei weisgemacht, der Abschiedsbrief sei von Ihrem Mann. Sie haben den
Mörder Ihres Mannes gedeckt.«
Henriette
nickte stumm und hielt den Blick auf die Bodenfliesen gerichtet.
»Reden wir
über das Skelett«, fuhr Norma mit ruhiger Stimme fort. »Die Leiche Ihres Mannes
war all die Jahre hier auf dem Weingut versteckt. Wussten Sie von Anfang an Bescheid?«
»Gewiss
nicht!«, widersprach Henriette mit heiserer Stimme. Sie sei immer davon ausgegangen,
Ewalds Leiche liege in einer unzugänglichen Senke auf der Hallgarter Zange. Bis
Angela sie am Tag vor ihrem Tod aufgesucht habe – sehr erregt aufgesucht habe. »Angela
war auf das Gerippe gestoßen, als sie im Keller nach dem Geheimgang suchte. Sie
kennen das Weinfass, das Ihr Schwiegervater unbedingt haben wollte. Darin hat Ewald
die ganze Zeit gelegen.«
Norma dachte
an die Minuten im Gewölbekeller, als Lutz das Riesenfass bewundert und mit dessen
Türchen hantiert hatte. Nur eine Armlänge hatte sie von dem Toten getrennt.
»Gemeinsam
sind wir hinuntergegangen«, fuhr Henriette fort, so eilig jetzt, als müsste sie
ihr Wissen schnellstens loswerden. »Wir haben uns Ewald angesehen. Viel war nicht
von ihm übriggeblieben. Erinnern Sie sich an den schwarzen Reisekoffer? Er war gefüllt
mit den Knochen, als ich ihn aus Angelas Wohnung holte. Vorher hatten Angela und
ich gemeinsam
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