Edelweißpiraten
so.
»Ach, ich weiß nicht«, hat Tilly schließlich gesagt. »Denkt dran, was mit denen in München passiert ist. Irgendein Scheißkerl findet sich immer, der einen verpfeift. Und dann sind wir dran! Wenn sie uns kriegen, bringen sie uns um. Wie alt wir sind, ist denen doch egal.«
»Ja!«, hat Goethe gesagt und erst den Langen und dann Flint angesehen. »Daran stören die sich nicht. Flocke hat recht. Es ist viel zu gefährlich.«
»Ach, gefährlich!« Flint hat verächtlich abgewinkt. »Alles ist gefährlich, Goethe! Jeder Tag, und die Nächte erst recht. Keiner weiß, ob wir morgen noch da sind oder unter irgendwelchen Trümmern liegen. Oder was die SS mit uns vorhat, wenn wir so weitermachen wie jetzt. Wahrscheinlich erwischt es uns sowieso. Also können wir auch was Sinnvolles anstellen. Ich finde, der Lange hat recht.«
»Aber was können
wir
schon tun?«, hat Maja gefragt. Wir waren überrascht, weil sie sonst immer nur zuhört, aber an dem Abend hat sie sich eingemischt. »Wir kennen doch keinen. Und die Leute nehmen uns gar nicht ernst. Oder glaubt ihr, sie interessieren sich dafür, was welche wie wir zu sagen haben?«
»Sie kriegen doch gar nicht mit, dass es von uns kommt«, hat der Lange gesagt. »Wir stellen uns ja nicht mit dem Lautsprecher auf die Straße. Sie finden ’n paar Flugblätter im Briefkasten. Oder es steht was auf der Mauer, in irgend ’ner Unterführung. Morgens, wenn sie zur Arbeit gehen. Sie werden denken, ganz andere Leute stecken dahinter.«
»Trotzdem: So ’n paar Sprüche ändern doch nichts«, hat Frettchen gemeint. »Was glaubst du, was die Leute tun, wenn sie’s lesen? Denkst du, sie holen ihre Knarre aus dem Schrank und machen ’ne Revolution? Vergiss es! Die haben viel zu viel Schiss.«
»Vielleicht«, hat der Lange gesagt. »Vielleicht aber auch nicht. Wenn das nämlich immer wieder passiert mit den Flugblättern und den Sprüchen, dann sehen sie, dass es Leute gibt, an die die
Nazis nicht rankommen. Vielleicht macht ihnen das ja Mut. Vielleicht ist es wie ’n kleiner Schneeball, aus dem am Ende ’ne ganze Lawine wird.«
Frettchen hat abgewinkt. Aber Flocke ist ziemlich nachdenklich geworden, als sie dem Langen zugehört hat.
»Kann sein«, hat sie gesagt. »Und außerdem: Vielleicht ist es ja gar nicht wichtig, ob es was ändert. Vielleicht kommt’s nur drauf an, irgendwas zu tun. Für uns selbst, versteht ihr? Einfach nur für uns.«
Wir haben noch lange weitergeredet an dem Abend, bis tief in die Nacht. Und am Ende war das, was Flocke gesagt hat, das Entscheidende. Denn es ist wirklich so: Wer kann schon wissen, was aus uns wird oder aus den Sachen, die wir tun? Planen können wir sowieso nichts, solange uns fast jede Nacht die Bomben um die Ohren fliegen. Also ist es das Beste, einfach zu tun, was wir für richtig halten. Egal, ob’s Zweck hat oder nicht. Auf jeden Fall können wir uns dann noch in die Augen sehen. Und so viele gibt’s heutzutage nicht, die das von sich behaupten können.
Am Ende haben’s alle von uns so gesehen, auch Maja und Goethe und Frettchen. Wir haben überlegt, was genau wir machen wollen, und schließlich sind wir bei der Sache gelandet, die der Lange schon letztes Jahr vorgeschlagen hat: die Flugblätter von den Engländern einzusammeln und heimlich zu verteilen. Es ist das Einfachste, denn wie man selbst Flugblätter macht, wissen wir nicht. Und so schöne Texte schreiben, wie sie da draufstehen, können wir auch nicht. Also haben wir uns gedacht: Warum die Welt neu erfinden, wenn sie schon da ist?
Ein paar Nächte später ist der nächste Angriff gewesen. Wir haben gewartet, bis er vorbei ist und die Leute wieder aus dem Bunker verschwunden sind. Dann haben wir uns auf die Socken gemacht. Meistens kommen die Flugblätter, wenn alle damit beschäftigt sind, die Brände zu löschen. So war’s auch diesmal. Wir
sind kreuz und quer durch Ehrenfeld gelaufen und haben alles eingesammelt, was uns unter die Finger kam. Groß aufgefallen sind wir nicht dabei. In den Bombennächten haben die Leute anderes zu tun, als sich um Typen wie uns zu kümmern.
Letzte Nacht war’s dann so weit. Wir haben bis nach Mitternacht gewartet, weil da normalerweise keiner mehr auf der Straße ist. Flint und Kralle hatten die Flugblätter mitgenommen und versteckt. Wo, haben sie nicht erzählt, damit’s im Ernstfall keiner verraten kann. Jetzt haben sie sie wieder mitgebracht, und die beiden waren’s auch, die’s übernommen haben, sie in die
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