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Edelweißpiraten

Edelweißpiraten

Titel: Edelweißpiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Reinhardt
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Briefkästen zu stecken. Wir anderen haben Wache gestanden. Immer die Straße, in der wir grade waren, rauf und runter und dazu in allen Nebenstraßen, damit uns keiner überrascht. Zum Glück ist es ruhig geblieben. Wir haben das ganze Revier links und rechts von der Venloer geschafft, ohne dass was dazwischen kam. Dann waren Flint und Kralle ihre Flugblätter los, und wir sind abgehauen.
    Als ich heute von der Arbeit gekommen bin, ist der Teufel los gewesen. Unser Blockwart hat eins von den Flugblättern in seinem Briefkasten gefunden. Anscheinend hat er erst gedacht, sie wären nur bei uns verteilt worden und es müsste einer aus dem Haus gewesen sein. Aber dann hat er rausgekriegt, dass sie überall in Ehrenfeld aufgetaucht sind. Ich hab gehört, wie er die Hausbewohner ausfragt, ob sie was gesehen haben in der Nacht. Hatte aber keiner. Ein paar haben kein Geheimnis draus gemacht, dass sie’s auch zum Verrecken nicht erzählen würden, wenn’s so wär. Am Ende ist er mit rotem Kopf und mit den Flugblättern unterm Arm abgezogen. »Das wird noch ein Nachspiel haben!«, hat er geschrien.
    Oben in unserer Wohnung hat eins von den Flugblättern auf dem Küchentisch gelegen. Meine Mutter muss es vom Briefkasten mit hochgebracht haben. Ich musste grinsen, als ich’s gesehen hab. Sie hat gefragt, ob ich was über die Sache weiß. Ich hab gesagt, nein, woher denn? Aber sie hat’s schon immer gemerkt,
wenn ich sie anlüge, sie hat so ’ne Art sechsten Sinn dafür. Sie wollte wissen, ob ich was damit zu tun hab. Als ich gesagt hab, um Himmels willen, nein, ich bin doch nicht blöd, da musste sie sich erst mal setzen. Sie hat mich angesehen, und ich hab gemerkt, dass sie’s mit der Angst kriegt.
    Ich hab gesagt, sie soll sich keine Sorgen machen, mir wird schon nichts passieren. Aber das war nicht das Richtige, um sie zu beruhigen. Sie hat ganz klein und zusammengesunken dagesessen. Dann hat sie gesagt, ich wär ja jetzt 16 und damit alt genug, um zu wissen, was ich tue. Aber ich sollte ihr um alles in der Welt versprechen, vorsichtig zu sein.
    Tja, vorsichtig sein!, hab ich gedacht. Das ist nicht grade unsere Stärke. Aber am Ende hab ich’s ihr versprochen, damit sie sich nicht noch mehr Gedanken macht. Als ich rausgegangen bin, hab ich gesehen, wie sie das Flugblatt in der Schublade verschwinden lässt. Ganz weit hinten, damit’s nicht so schnell wieder auftaucht. Aber es war in Ordnung. Sie hätte es auch zerreißen können.

17. April 1943
    Seit ein paar Tagen ist Horst wieder in Köln. Die sechs Jahre in Sonthofen sind vorbei. Er ist fertig mit der Schule, war einer der Besten in seinem Jahrgang. Jetzt geht er zur SS. Da steht ihm alles offen, hat er erzählt – so wie er’s immer gewollt hat.
    Es war ein komisches Gefühl, als ich ihn vom Bahnhof abgeholt hab. Wir haben uns schließlich fast zwei Jahre nicht gesehen. Er hat seine SS-Uniform angehabt, und ich wollte erst das tun, was ich immer tu, wenn ich so ein Ding sehe, nämlich abhauen. Aber dann hab ich gemerkt, da steckt ja Horst drin. Er ist jetzt 18, sieht aber älter aus. Auf den ersten Blick gar nicht mehr wie mein Bruder. Auf den zweiten aber schon, da ist er noch der Alte.
    Ich hab ihm inzwischen geschrieben, dass ich aus der HJ raus bin und stattdessen mit anderen Leuten rumhänge. Was das für Leute sind und was wir treiben, hab ich natürlich für mich behalten, das ist nichts für ’n Brief. Er hat nicht drauf geantwortet. Was aber nicht heißt, dass es ihm egal ist. Nein, ich kenn ihn: So was klärt er lieber persönlich. Unter vier Augen. Ich hab also geahnt, was auf mich zukommt.
    Heute ist er zu uns nach Hause gekommen, mit ’n paar Lebensmittelkarten, die er organisiert hat. Gute Beziehungen hat er ja jetzt. Er hat sie Mutter in die Hand gedrückt und sie zum Einkaufen geschickt. Hat gemeint, sie soll sich ruhig Zeit lassen und nicht so schnell zurückkommen, er hätte was mit mir zu besprechen.
    Als wir allein waren, hat er mich zur Rede gestellt. Er wollte wissen, was mit mir los ist.
    »Wieso?«, hab ich gesagt. »Was soll los sein?«
    »Weißt du genau. Du hast Scheiße gebaut. Sieht so aus, als wär ich zu lang weg gewesen, oder?«
    »Nein. Hat mit dir nichts zu tun.«
    »Glaub ich aber doch. Weißt du nicht mehr, was ich dir damals gesagt hab? Dass wir alles schaffen können? Besonders gut gemerkt hast du’s dir anscheinend nicht. Also jetzt raus mit der Sprache: Was soll der Quatsch, den du mir geschrieben hast?«
    Ich hab

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