Edelweißpiraten
gewesen. Tom und ich waren dafür, die Sache abzubrechen, weil wir unser Glück nicht noch mehr auf die Probe stellen wollten. Aber Flint war anderer Meinung. Er und Kralle hatten was getrunken – irgend ’n billigen Fusel, der bei ihren Geschäften abgefallen war –, und jetzt wollten sie unbedingt noch einen draufsetzen.
»In die Höhle des Löwen müssen wir gehen«, hat Flint gesagt.
»Direkt zur HJ. Dann sehen alle, dass man vor den Nazis keine Angst mehr haben muss!«
Tom und ich waren dagegen, es kam uns zu riskant vor, auch der Lange hatte Zweifel. Aber Flint war Feuer und Flamme. Seine Augen haben geflackert, so begeistert war er von der Idee. Er hat gemeint, gut, wenn wir Angst hätten, machen er und Kralle es eben alleine. Also sind wir am Ende mitgegangen. Schließlich wollten wir nicht als Hasenfüße dastehen.
Als wir am HJ-Heim von Ehrenfeld angekommen sind, war alles ruhig. Die Fenster waren dunkel, auch auf der Straße war nichts los. Weil’s schon anfing zu dämmern, haben wir uns gar nicht mit irgendwas aufgehalten, sondern sofort losgelegt. Gleich neben dem Eingang haben wir unsere Sprüche hingeschrieben, damit sie auch garantiert jeder liest, der vorbeikommt.
Zuerst ging alles gut. Aber dann – kurz bevor wir fertig waren – ist am einen Ende der Straße plötzlich ein Trupp von HJlern aufgetaucht. Wir haben unsere Sachen geschnappt und wollten zur anderen Seite verschwinden, als von da auch welche kamen. Ich glaub nicht, dass sie einer alarmiert hat, denn sie waren total überrascht, uns zu sehen. Wahrscheinlich war’s reiner Zufall, dass sie um die Zeit schon Dienst hatten – aber für uns ’n verflucht gefährlicher Zufall.
Auf der Straße gab’s keinen Ausweg. Wir haben versucht, in das HJ-Heim reinzukommen, weil wir dachten, wir könnten auf der anderen Seite durchs Fenster verschwinden. Aber da war nichts zu machen, die Tür war viel zu stabil. Wir saßen in der Falle. Die HJler sind nähergekommen, und dann haben sie überhaupt erst gesehen, was wir angestellt hatten, und begriffen, was für Leute wir sind. Sofort sind zwei losgerannt, um die Polizei zu holen, und die anderen – es waren bestimmt an die zwanzig, alle in unserem Alter – haben uns eingekesselt, bis wir uns nicht mehr rühren konnten.
Wir haben mit dem Rücken an der Mauer gestanden und verzweifelt überlegt, was wir tun sollen. Eins war klar: Wir mussten aus der Sache raus, bevor die Polizei kommt, sonst waren wir geliefert. Aber wie?
Die HJler sind immer näher gerückt. Ich konnte kaum klar denken, so verwirrt war ich. Da hat Flint, der neben mir stand, plötzlich ’ne Bewegung gemacht. Ich hab zu ihm hingesehen: Er hatte sein Fahrtenmesser in der Hand. So eins besitzen wir alle, auch die HJler. Es gehört zum guten Ton, eins zu haben. Aber es gibt ’ne Art ungeschriebenes Gesetz, dass man sein Messer zwar trägt, aber im Kampf nicht gebraucht. In allen Prügeleien gegen die HJ haben wir uns daran gehalten, egal, wie hoch es herging – und sie genauso. Flint war jetzt der Erste, der es brach.
Bevor wir kapiert haben, was los ist, ist er nach vorn gesprungen und hat auf einen der HJler eingestochen. Der hat sich zur Seite gedreht, aber Flint hat ihm das Messer tief in die Schulter gerammt. Gleich darauf hat er’s wieder rausgezogen und ist zurückgesprungen. Der Typ hat ihn für ’n Moment angestarrt, dann ist er zu Boden gegangen. Er hat die Hand an die Schulter gepresst, aber die Wunde war zu tief, er konnte das Blut gar nicht zurückhalten.
Für eine Sekunde waren alle wie erstarrt. Dann haben Kralle und der Lange ihre Messer ebenfalls gezogen, Tom und ich haben’s ihnen nachgemacht. Wir sind auf die HJler zu. Wahrscheinlich waren sie so geschockt, dass sie gar nicht daran gedacht haben, wie viele sie sind und wie überlegen sie uns waren. Jedenfalls sind sie uns ausgewichen.
Wir haben unsere Pinsel und Farbeimer liegen lassen und nur noch gesehen, dass wir wegkommen. Zum Glück hat uns keiner verfolgt, auch die Polizei ist uns nicht begegnet. Wir sind gerannt, bis wir nicht mehr konnten, dann haben wir uns in den Trümmern von ’nem ausgebombten Haus versteckt. Keiner hat was gesagt, alle wussten, wie knapp es gewesen war. Wir haben auf das
Messer in Flints Hand gestarrt. Mit letzter Kraft sind wir noch mal davongekommen.
13. August 1944
Wegen den Sachen, die wir zuletzt getan haben, sind die Kommunisten auf uns aufmerksam geworden. Ein paar davon gibt’s ja noch, im Untergrund. Sie
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